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Risikofaktor Leistenschmerzen
So lassen sich Leistenverletzungen vorbeugen und Ausfälle vermeiden
- Das Vorhandensein von Leistenschmerzen in der Vorsaison führt zu einem 2,4-fach erhöhten Risiko für eine akute Leistenverletzung.
- Risikobewertungen zu Saisonbeginn sollten neben den durch Leistenbeschwerden hervorgerufenen Ausfallzeiten auch Informationen zur Symptomatik ohne Trainings- bzw. Spielpause berücksichtigen.
- Zur Risikoabschätzung für das erneute Auftreten von Leistenverletzungen ist der funktionelle Adduktorenkrafttest mit langem Hebel dem mit kurzem Hebel überlegen.
- Ein spezifisches Krafttraining der Adduktoren mit langem Hebel senkt das Verletzungsrisiko deutlich.
Abstract
Ein Großteil der Leistenbeschwerden bei Fußballer*innen wird durch die an der Oberschenkelinnenseite gelegene Adduktorenmuskulatur verursacht. Wer trotz Schmerzen weiterspielt, erhöht das Risiko um das 2,4-Fache, in der Folgesaison mit einer akuten Leistenverletzung auszufallen. Das zeigt eine Untersuchung unter spanischen Amateurfußballspielern, die Verletzungsdaten mit und ohne Ausfallzeiten über eine gesamte Saison hinweg ausgewertet hat. Ein gezieltes Krafttraining der Adduktoren, insbesondere mit langem Hebel, kann das Verletzungsrisiko deutlich senken.
Die Sportlerleiste
Die Leistengegend wird von einer Vielzahl anatomischer Strukturen durchzogen, von denen jede für sich oder in Verbindung mit anderen angrenzenden Strukturen die Ursache von Leistenschmerzen bei Sportler*innen sein kann. Gerade bei Fußballspieler*innen, die kraftvolle Schussbewegungen mit häufigen Richtungswechseln, explosiven Antritten und schnellen Drehungen kombinieren, treten akut einsetzende Leistenschmerzen oft auf: Etwa 18 Prozent aller Verletzungen, die zu einem Ausfall führen, sind in der Leistenregion lokalisiert [1]. Betroffene geben meist ziehende, teilweise stechende Schmerzen an, die Richtung Schambein, Hüfte oder Beine ausstrahlen. Von allen Leistenverletzungen betreffen etwa zwei Drittel die Oberschenkelinnenseite, wo die Adduktoren ansetzen: sechs Skelettmuskeln, die an der Beininnenseite zur Körpermitte führen. Chronische Entzündungen, Zerrungen, akute Muskelbündel- oder komplette Muskelrisse in der Leistengegend können langwierige Folgen haben. Jede fünfte Leistenverletzung führt durch Überbeanspruchung innerhalb von zwei Jahren zu Rückfällen, während 11 Prozent schon nach zwei Monaten erneut auftreten [2].
Schwachstelle Monitoring
Sportmediziner fürchten, die Bedeutung von Leistenproblemen für das Verletzungsrisiko im Fußball werde unterschätzt. In der Fachliteratur zu diesem Thema erfassen die meisten Beobachtungsstudien im Fußball Leistenverletzungen nämlich nur dann, wenn sie mit einem Zeitverlust im Sinne einer Zwangspause verbunden sind. Ein wichtiger Risikofaktor für Leistenprobleme bleibe so unbeleuchtet. Denn mindestens ein Drittel der Spieler, die unter Leistenschmerzen leiden, spielen trotz ihrer Symptome weiter, wie jüngere Untersuchungen gezeigt haben [3, 4]. Das Problem: Weil Überlastungszustände durch die reine Zeitverlustbetrachtung nicht rechtzeitig genug erkannt werden, bestünde die Gefahr, dass die Auswirkungen von erlittenen Leistenbeschwerden ohne Ausfälle auf die Spieltauglichkeit in der Folgesaison in der Monitoring- und Trainingspraxis womöglich unterschätzt werden [1, 4].
Risikofaktor Leistenschmerzen
Eine kürzlich erschienene Kohortenstudie hat das Ausmaß von Leistenbeschwerden über die Zeitverlustbetrachtung hinaus über die aktuelle sowie die Vorsaison hinweg untersucht. Erfasst und ausgewertet wurden die Daten von 245 männlichen spanischen Amateurfußballspielern aus 17 Mannschaften. Erhoben wurde eine Vielzahl von Risikofaktoren, einschließlich Alter, Körpermaße und biomechanische Daten, Informationen über erlittene Leistenschmerzen in der vergangenen Saison mit und ohne Zeitverlust und Trainingsbelastung. Abgefragt wurde auch die medizinische Vorgeschichte der Spieler, um mögliche Prädispositionen für Leistenverletzungen zu identifizieren. Während der Saison wurden die Spieler regelmäßig auf Leistenbeschwerden untersucht, ihre Trainingsbelastung und Spielzeit erfasst.
Das Ergebnis: Während des 39-wöchigen Untersuchungszeitraums erlitten 40,4 Prozent der Spieler ein Leistenproblem. Davon waren nur 15 Prozent der Fälle akute Leistenverletzungen, die zu Ausfällen mit Zeitverlust führten. Der erheblich größere Teil – 85 Prozent – waren berichtete Leistenbeschwerden ohne Zeitverlust. Unter Einbezug der berichteten Vorgeschichte von Leistenbeschwerden ergab die statistische Auswertung, dass Spieler, die in der vergangenen Saison bereits unter Leistenschmerzen litten, ein 2,4-fach erhöhtes Risiko haben, sich in der neuen Saison akut im Leistenbereich zu verletzen.
Dabei sind ältere Spieler anfälliger für Leistenbeschwerden ohne Zeitverlust als jüngere. Bei akuten Leistenverletzungen mit Zeitverlust besteht hingegen kein Zusammenhang mit dem Alter, was mit den Erkenntnissen früherer Studien einhergeht [2]. Risikobewertungen vor der Spielsaison sollten deshalb neben verletzungsbedingten Ausfällen auch Leistenbeschwerden ohne Zeitverlust berücksichtigen, die Spieler in der vergangenen Saison erlitten und damit weitergespielt haben.
Adduktorenkraft monitoren und drohenden Leistenbeschwerden vorbeugen
Interessant für das Belastungsmonitoring ist, drohende Leistenbeschwerden noch vor deren Auftreten prognostizieren zu können. Einige Untersuchungen zum Thema zeigen, dass ein regelmäßiges Monitoring der Adduktorenkraft dabei helfen könnte, der Entwicklung von Leistenschmerzen entgegenzuwirken. Es scheint zum einen Spieler mit erhöhtem Risiko für eine Leistenverletzung identifizieren zu können [5]. Zum anderen scheint die Adduktorenkraft bereits vor dem Auftreten von Leistenschmerzen messbar nachzulassen [6].
Die Studie ergab, dass Leistenbeschwerden ohne Zeitverlust eher bei Spielern mit geringerer Adduktorenkraft auftraten. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass die Wirksamkeit von präventiven Maßnahmen, wie einem Trainingsprogramm zur Stärkung der Muskulatur der Oberschenkelinnenseite bei Verletzungen ohne Zeitverlust größer war als bei Verletzungen mit Zeitverlust.
Krafttests und -training mit langem Hebel wirkungsvoller
Um die Leistenbeschwerden zu bewerten, führten die Studienautoren funktionelle Adduktorenkrafttests mit langem und mit kurzem Hebel durch. Weitere Parameter waren unter anderem Flexibilität und Stärke der Hüft- und Beinmuskulatur. Während der Adduktorenkrafttest mit kurzem Hebel eine höhere Widerstandskraft erfordert, ist beim Test mit langem Hebel die Hebelwirkung größer, was eine höhere Beanspruchung der Muskeln und Sehnen in der Leiste erzeugt. Die Ergebnisse der Studie bestätigen Erkenntnisse der Forschungsliteratur, dass der funktionelle Adduktorenkrafttest mit langem Hebel dem mit kurzem Hebel vorzuziehen ist, um das mögliche Auftreten neuer Leistenprobleme während der Folgesaison zu beurteilen. Spieler, die eine höhere Kraft vor der Saison beim Adduktorenkrafttest mit langem Hebel aufweisen, sind weniger anfällig, sich während der Spielzeit in der Leiste zu verletzen.
Prävention von Leistenverletzungen in der Vorsaison ansetzen
Ein Training mit langem Hebel beansprucht die Muskelgruppe in der Oberschenkelinnenseite in einem größeren Bewegungsumfang und deckt somit mehrere funktionelle Bewegungsmuster ab, die für schnelle Richtungswechsel, plötzliche Stopps und Starts oder kraftvolle Schussbewegungen besonders gebraucht werden. Die Studie empfiehlt, ein Präventionsprogramm gezielt auf das Training der Adduktoren mit langem Hebel auszurichten, um die Muskelgruppe zu kräftigen. In der Vorsaison angesetzt, senkt ein solches Training das Verletzungsrisiko deutlich und trägt dazu bei, die Ausfallzeit von verletzten Spielern zu minimieren.
Die Inhalte basieren auf der Studie „Past-season, pre-season and in-season risk assessment of groin problems in male football players: A prospective full-season study”, die 2022 in der Fachzeitschrift „British Journal of Sports Medicine” veröffentlicht wurde.
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Literatur
- Esteve, E., Casals, M., Saez, M., Rathleff, M. S., Clausen, M. B., Vicens-Bordas, J., Hölmich, P., Pizzari, T., & Thorborg, K. (2022). Past-season, pre-season and in-season risk assessment of groin problems in male football players: a prospective full-season study. British Journal of Sports Medicine, 56(9), 484-489.Studie lesen
Harøy, J., Clarsen, B., Wiger, E. G., Øyen, M. G., Serner, A., Thorborg, K., Hölmich, P., Andersen, T. E., & Bahr, R. (2019). The Adductor Strengthening Programme prevents groin problems among male football players: A cluster-randomised controlled trial. British Journal of Sports Medicine, 53(3), 150-157.
Mosler, A. B., Weir, A., Serner, A., Agricola, R., Eirale, C., Farooq, A., Bakken, A., Thorborg, K., Whiteley, R. J., Hölmich, P., Bahr, R., & Crossley, K. M. (2018). Musculoskeletal screening tests and bony hip morphology cannot identify male professional soccer players at risk of groin injuries: A 2-year prospective cohort study. The American Journal of Sports Medicine, 46(6), 1294-1305.
Harøy, J., Clarsen, B., Thorborg, K., Hölmich, P., Bahr, R., & Andersen, T. E. (2017). Groin problems in male soccer players are more common than previously reported. The American Journal of Sports Medicine, 45(6), 1304-1308.
Esteve, E., Clausen, M. B., Rathleff, M. S., Vicens-Bordas, J., Casals, M., Palahí-Alcàcer, A., Hölmich, P., & Thorborg, K. (2020). Prevalence and severity of groin problems in Spanish football: A prospective study beyond the time‐loss approach. Scandinavian Journal of Medicine & Science in Sports, 30(5), 914-921.
Rodriguez, R. (2020). Measuring the hip adductor to abductor strength ratio in ice hockey and soccer players: A critically appraised topic. Journal of Sport Rehabilitation, 29(1), 116-121.
Moreno-Pérez, V., Travassos, B., Calado, A., Gonzalo-Skok, O., Del Coso, J., & Mendez-Villanueva, A. (2019). Adductor squeeze test and groin injuries in elite football players: A prospective study. Physical Therapy in Sport, 37, 54-59.
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