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Unterscheidet sich das Training in europäischen Ländern?

Studie vergleicht Anteil des Entscheidungshandelns im Training zwischen Nachwuchsmannschaften aus Spanien, Portugal, England und Deutschland

Talententwicklung
Sie sehen Sofie Lena Zdebel (L) und Daphina Redzepi (C) aus Deutschland um den Ball kämpfen gegen die Niederlanden während des UEFA-Turniers für Frauen unter 16 Jahren.
    • Vergleich der Trainingsstruktur zwischen englischen, deutschen, spanischen und portugiesischen Nachwuchsmannschaften (U 12-U 16).
    • Die durchschnittliche Dauer einer Trainingseinheit betrug 88 ± 6 Minuten und unterschied sich nicht zw. den Ländern.
    • Trainingsformen zum aktiven Entscheidungshandeln nahmen bei allen analysierten Mannschaften die meiste Trainingszeit in Anspruch (ca. 62 %).
    • Spanische und portugiesische Mannschaften verbrachten mehr Zeit mit Trainingsformen, die dem aktiven Entscheidungshandeln zuzuordnen sind, als deutsche oder englische Mannschaften.  
    • Im Ländervergleich zeigte sich ebenso, dass englische Spieler mehr Zeit mit technischen Übungsformen und deutsche Spieler mehr Zeit mit Athletiktraining ohne Ball verbringen.
Abstract

Welche Rolle spielt die Schulung des Entscheidungshandelns im Elite-Jugendfußball und wieviel Raum geben Trainerinnen und Trainer entsprechenden Trainingsformen in ihrer Trainingsarbeit? Gibt es im europäischen Vergleich Unterschiede? Eine Studie hat die Trainingspraxis von 53 Coaches aus England, Deutschland, Portugal und Spanien unter die Lupe genommen und Trainingseinheiten von U 12- bis U 16-Mannschaften untersucht. Das Ergebnis: Über alle Mannschaften hinweg wurden insgesamt über die Hälfte der Zeit Trainingsformen mit aktivem Entscheidungshandeln verwendet. Im Ländervergleich setzten Trainer in Portugal und Spanien mehr Zeit für Trainingsformen des aktiven Entscheidungshandelns um. 

Fußball beginnt im Kopf

Fußball ist ein immer schnelleres Spiel geworden. Mit dieser Entwicklung ist in den letzten Jahren die Bedeutung der Spielintelligenz gestiegen. Elitefußballer zeichnen sich dadurch aus, dass sie im raschen Wechsel von Spielsituationen unter Druck effektive Lösungsmöglichkeiten voraussehen und die richtige Entscheidung treffen [1]. Entsprechend rücken kognitive Fähigkeiten als potenzieller Leistungsfaktor in der Trainingslehre und in der Nachwuchsförderung zunehmend in den Vordergrund. Anstatt bei der Ausbildung junger Fußballer nur auf das Erlernen technischer und taktischer Fertigkeiten zu achten, sollten auch kognitive Fähigkeiten trainiert werden, damit ein Spieler sein gesamtes Potenzial ausschöpfen kann (vgl. Spielkompetenzmodell).  

Traditionelle Vermittlungsmethoden setzen u. a. darauf, eine einzelne Fertigkeit unter isolierten Übungsbedingungen mit mehrfachen Wiederholungen zu trainieren. Der Nachteil dieser Methoden ist, dass auf diese Weise die Fähigkeiten, die das Entscheidungshandeln ausmachen – Wahrnehmen, Antizipieren, Entscheiden und Umsetzen – nicht ausreichend geschult werden [2]. Die neuere Sportspielforschung zeigt, dass kognitive Fähigkeiten im Fußball am besten trainiert werden, indem die Trainingsbedingungen möglichst nah an die Bedingungen des Wettspiels angepasst werden [1, 3, 4]. Ein möglicher Zugang könnte dafür der „Constraints-Led Approach“ [5] sein, ein trainingspädagogisches Instrument, der es den Spielern erlaubt, durch selbstständiges Denken und Handeln taktische und technische Kenntnisse sowie spielnahe Erfahrungen zu sammeln. Möglich wird das zum Beispiel durch die gezielte Veränderung/Modifikation von Spielregeln bspw. in Kleinfeldspielformen (Überzahl/Unterzahl, Kontaktbegrenzung, Art der Torerzielung etc.). Solche spielnahen Trainingsformen steigern zudem den Lerntransfer vom Trainingsumfeld in das Wettspiel. Dabei spielt auch das Trainerverhalten und das Coaching eine wesentliche Rolle: Die Art, wie der Trainer Fragen stellt oder wie er Korrekturhinweise gibt, lässt den Spielern Raum für implizites Lernen [4]. Sie entwickeln eigene effektive Lösungen und trainieren so ihre Entscheidungsfähigkeit.

Studie vergleicht Anteil des Entscheidungshandelns in Trainingsformen zwischen verschiedenen Nationen

Wie aber sieht es in der Praxis in verschiedenen europäischen Fußballnationen aus? Eine britische Studie hat die Trainingskonzepte von 53 Trainern, die in Nachwuchsakademien von jeweils vier Spitzenvereinen in England (N = 15), Deutschland (N = 14), Portugal (N = 11) und Spanien (N = 13) arbeiten, im direkten Vergleich untersucht. Dafür wurden insgesamt 83 Trainingseinheiten von Jugendfußballmannschaften der U 12 bis U 16-Kader der Vereine analysiert, wie hoch der Anteil von Trainingsformen für das aktive Entscheidungshandeln ist und wie sie im Detail strukturiert sind.

Dafür wurden die Trainingsformen in drei Kategorien unterteilt:

(A) Aktives Entscheidungshandeln

  • Technische und taktische Übungsformen in Kleingruppen mit Gegenspielern,
  • Trainingsformen auf ein Tor (z. B. 2 vs. 1),
  • Kleinfeldspiele,
  • Ballbesitzspielformen ohne Tore.

(B) Nicht-aktives Entscheidungshandeln

  • Athletiktraining (z. B. Aufwärmen, Konditionsprogramme),
  • Techniktraining in isolierten Übungsformen,
  • Trainingsformen ohne aktives Entscheidungshandeln.

(C) Andere

  • Übergangszeiten zwischen einzelnen Trainingsformen (z. B. Erklärungen, Auf- und Umbau),
  • Trinkpausen.
Anteil an aktivem Entscheidungshandeln überwiegt in der Gesamtschau

Bei allen 16 Vereinen war das Training etwa gleich lang und dauerte durchschnittlich 88 Minuten (+/- 6 Min.). In der Gesamtschau über alle Länder hinweg wurden insgesamt über die Hälfte der Zeit (62 %, +/- 9 %) Trainingsformen mit aktivem Entscheidungshandeln verwendet. Während der Anteil an nicht-aktivem Entscheidungshandeln dagegen 20 Prozent (+/- 8 %) ausmachte. Diese Ergebnisse unterstützen die Erkenntnisse neuerer Untersuchungen [6, 7] und zeigen, dass die Schulung des spielintelligenten Entscheidungshandelns in der Nachwuchsförderung an Bedeutung gewinnt. Interessant ist aber, wie sich die Anteile auf die Trainingsarbeit nach Ländern differenziert verteilen.

Portugal und Spanien vor Deutschland und England

Eine differenzierte Analyse der Trainingsgestaltung nach Ländern zeigt Unterschiede hinsichtlich des relativen Umfangs des aktiven Entscheidungshandelns. Jugendtrainer aus Portugal und Spanien verwendeten 10 bis 12 Prozent mehr Zeit für Trainingsformen, die der Kategorie (A) zugeordnet werden können als englische und deutsche Trainer (s. ABB. 01). Dabei machten Kleinfeldspiele den größten Anteil aus. Spieler von portugiesischen und spanischen Mannschaften verbrachten zwischen 5 und 13 Prozent mehr Zeit mit Kleinfeldspielen als Spieler von englischen und deutschen Mannschaften.

Sie sehen einen Vergleich des prozentualen Anteil an aktiven und nicht-aktiven Entscheidungshandeln in Trainingsformen pro Einheit von England, Deutschland, Portugal und Spanien.
Deutsche Trainer setzen mehr auf körperliche Fitness

Außerdem verwendeten englische Trainer im direkten Vergleich mit Trainern der drei anderen Länder mehr Zeit (zwischen 11 % und 16 % der gesamten Trainingszeit) auf das isolierte Training technischer Fertigkeiten. Deutsche Trainer dagegen widmeten zwischen 10 und 14 Prozent mehr Trainingszeit mit Fitnessaktivitäten.

Die Ergebnisse lassen vermuten, dass englische und deutsche Nachwuchsspieler der analysierten Stichprobe weniger Möglichkeiten bekommen, kognitive Fähigkeiten und motorische Fertigkeiten unter wettspielnahen Bedingungen zu trainieren. Die Studienautoren empfehlen, vermehrt auf neuere Methoden zur Schulung des Entscheidungshandelns zu setzen. Nachweislich erhöhe sich nicht nur die Entwicklung der Entscheidungsfähigkeit bei jungen Fußballspielern, sondern auch ihre Beteiligungsbereitschaft am Training, wenn ihnen mehr spielnahe Trainingsformen angeboten werden [4].

Ein weiteres interessantes Ergebnis: Fast ein Fünftel der gesamten Trainingszeit wurde in allen analysierten Ländern für die Übergänge zwischen einzelnen Trainingsformen, Trinkpausen und Erklärungen verwendet. Zuviel „Luft“ zwischen einzelnen Trainingselementen kann dazu führen, dass das Engagement der Spieler sinkt. Schnellere Übergänge und weniger Wartezeit beim Umbauen würden die Lernbereitschaft der Spieler erhöhen.

Einschränkungen der analysierten Studie

Die analysierte Studie gehört zu den ersten Studien, die die Trainingsarbeit von Trainer in Nachwuchsakademien zwischen verschiedenen europäischen Ländern vergleicht. In den Vergleich nicht mit einbezogen wurde die Zielstellung, die die jeweiligen Trainer bei der Planung und Leitung der Trainingsformen hatten. Beispielsweise könnte ein gerade aufgetretener Hauptfehler in einer Basistechnik den Trainer zu einer isolierten Technikübungsform veranlasst haben. 

Die Inhalte basieren auf der Studie “Decision-making practice during coaching sessions in elite youth football across European countries”, die 2020 im “Science and Medicine in Football” veröffentlicht wurde.

Literatur

  1. Roca, A., Ford, P.R. (2020): Decision-making practice during coaching sessions in elite youth football across European countries. Science and Medicine in Football, 2473-4446
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    1. Roca A, Williams AM, Ford PR (2012). Developmental activities and the acquisition of superior anticipation and decision making in soccer players. J Sports Sci. 30 (15): 1643–1652.

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    2. Pinder RA, Davids K, Renshaw I, Araújo D (2011). Representative learning design and functionality of research and practice in sport. J Sport Exerc Psychol. 33 (1): 146–155.

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    3. Williams AM, Ford PR (2013). ‘Game intelligence’: anticipation and decision making. In: Williams AM, Science and soccer: developing elite performers. 3rd ed. London (UK): Routledge. 105–121

    4. Miller A, Harvey S, Morley D, Nemes R, Janes M, Eather N (2017). Exposing athletes to playing form activity: outcomes of a randomised control trial among community netball teams using a game-centred approach. J Sports Sci. 35 (18): 1846–1857.

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    5. Davids K, Button C, Bennett S (2008). Dynamics of skill acquisition: A constraints-led approach. Champaign (IL): Human Kinetics

    6. Ford PR, Whelan J (2016). Practice activities during coaching sessions in elite youth football and their effect on skill acquisition. In: Allison W, Abraham A, Cale A, editors. Advances in coach education and development: from research to practice. London (UK): Routledge; p. 112–123.

    7. O’Connor D, Larkin P, Williams AM (2018). Observations of youth football training: how do coaches structure training sessions for player development? J Sports Sci. 36 (1): 39–47.

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