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Verletzung der hinteren Oberschenkelmuskulatur

Welche Kriterien nutzen Profivereine zur Beurteilung des Wiedereinstiegs?

Die Nationalspieler um Marco Reus und Kai Havertz wäremen sich auf © 2019 Philipp Reinhard
    • Die meisten befragten Profivereine setzen die wissenschaftlichen Empfehlungen um, die Rückkehr nach einer Verletzung der hinteren Oberschenkelmuskulatur als einen, in verschiedene Phasen untergliederten, Prozess zu verstehen.
    • Schmerzfreiheit, Muskelkraft, Monitoring der Trainingsbelastung und funktionelle Leistung sind die wichtigsten Kriterien beim Fortschritt der Rehabilitation.
    • Die Entscheidung für den Übergang von einer Rehabilitationsphase in die Nächste wird meist in einem Team getroffen. Dieses sollte aus medizinischen Beratern, Trainern, wissenschaftlichen Personal und nicht zuletzt den Spielern selbst bestehen.
Abstract:

Verletzungen der hinteren Oberschenkelmuskulatur gehören zu den häufigsten Gründen, warum ein Spieler pausieren muss. Welche Kriterien entscheiden aber, ob er zurück ins Training und ins Spiel darf? Eine Online-Umfrage unter 131 Profimannschaften zeigte, dass die generellen Forschungsempfehlungen und die tatsächlich eingesetzten Praktiken bei der Mehrheit der befragten Teams übereinstimmen. 

Der Wiedereinstieg nach der Verletzung

Schnell ist es passiert: Der Spieler sprintet über den Platz, ein stechender Schmerz lässt ihn das Gesicht verzerren und er hält sich den Oberschenkel. Der sogenannte „Hamstring“, der hintere Oberschenkelmuskel, ist verletzt. Es ist laut Studien die häufigste Verletzung im Profifußball [1, 2].  

Wann nach einer solchen Verletzung wieder trainiert und gespielt werden darf, dafür geben Studien erkenntnisgestützte Empfehlungen. Es ist jedoch nicht klar, ob die Empfehlungen in der Praxis auch tatsächlich umgesetzt werden. Laut einer Online-Befragung folgen Profivereine dabei weitestgehend den Empfehlungen aus der Forschung und entscheiden anhand fester Kriterien.  

Die analysierte Studie von Dunlop et al., 2020 unterscheidet zwischen vier Phasen des Wiedereinstiegs:  

  • RTRun: Die Rückkehr zum Laufen mit hoher Geschwindigkeit (Zeitspanne zwischen dem Auftreten der Verletzung und der Freigabe zum Beginn des Laufens mit hoher Geschwindigkeit),  

  • RTTrain: Der Wiedereinstieg ins uneingeschränkte Training auf dem Platz,  

  • RTPlay: Die Rückkehr zum Wettkampf mit der Mannschaft,

  • RTPerf: Die Phase, in der wieder ähnliche oder sogar höhere Leistungen erzielt werden, als vor der Verletzung.  

Für die Entscheidung, wann ein Spieler von einer Phase in die nächste wechseln darf, verwenden die meisten der befragten Vereine eine Kombination aus klinischen, funktionellen und psychologischen Kriterien. 

Die Kriterien für die nächste Phase

Entscheidend für die Rückkehr zum Laufen mit hoher Geschwindigkeit (RTRun) ist nach den Antworten der meisten Clubs, dass der verletzte Spieler keine Schmerzen mehr hat und die Kraftfähigkeit des Muskels. Die Muskelkraft des rückwärtigen Oberschenkels ist bei den meisten Vereinen auch eines der Kriterien, um wieder am uneingeschränkten Training auf dem Platz (RTTrain) teilnehmen zu können. Doch welche spezifischen Kraftkomponenten (exzentrisch, isometrisch, Seitigkeitsunterschiede zwischen den Beinen) zur Beurteilung des Fortschritts herangezogen werden, wird unterschiedlich beantwortet.  

Als wichtiges Entscheidungskriterium für diese und für die nächste Phase (RTPlay) wurde auch das Monitoring der Trainingsbelastung angegeben. Zusammen mit der funktionellen Leistungsfähigkeit und den sportspezifischen Tests stellen sie das am häufigsten genannte Kriterium dar. Ein sorgfältig geplantes Rehabilitationsprogramm sollte aus funktioneller Sicht alle Anforderungen des Wettspiels berücksichtigen, um das frühere Leistungsniveau wiederherzustellen und das Risiko von erneuten Verletzungen zu vermeiden.  

Die Ergebnisse bezüglich der letzten Phase (RTPerf), der vollen Leistungsfähigkeit von Spielern nach einer Hamstring-Verletzung, sind laut der Studie nicht eindeutig. Zwar scheint auch hier das Kriterium des Monitorings der Trainingsbelastung eine große Rolle zu spielen, ebenso wie die subjektive Beurteilung des Trainerstabs. Die Fragen hierzu wurden jedoch von vielen Vereinen nicht beantwortet.  

Auch andere Kriterien, wie die psychologische Verfassung des verletzten Spielers oder bildgebende Verfahren spielen laut Studie bei manchen Vereinen eine Rolle. In der Auswertung der Befragung aller Vereine, zählten sie aber nicht zu den meistgenannten Faktoren für den Übergang in die nächste Phase (siehe Tabelle 1).   

Dunlop und Kollegen schickten für ihre Studie Fragebögen an Profiligen in aller Welt. Schlussendlich nahmen 131 (43 Prozent) der 310 kontaktierten Teams aus 34 Ligen teil.

Tab. 01: Welche Kriterien erachten Vereine bei der Rückkehr nach Hamstring-Verletzungen als besonders Wichtig?
Tab. 01: Welche Kriterien erachten Vereine bei der Rückkehr nach Hamstring-Verletzungen als besonders Wichtig?
Keine Einzelentscheidung

Mehr als 80 Prozent der Clubs gaben bei der Befragung an, dass die Entscheidung zum weiteren Trainieren oder Spielen durch alle Phasen hindurch keine Entscheidung einzelner Personen ist. Die Studienautoren werteten dieses Ergebnis zunächst als vielversprechend, da eine schlechte interne Kommunikation mit (Wieder-)Verletzungen verbunden sein kann [3]. Dabei wird in den meisten Fällen die Meinung von Medizinern und/oder Physiotherapeuten eingeholt. Als bedenklich stuften Dunlop und Kollegen ein, dass der Anteil der Beteiligten in jeder Phase jedoch nur für das medizinische Personal einheitlich war. Die genaue Beteiligung von sportwissenschaftlichem Personal, Trainern und Spielern war weniger klar und sollte zukünftig genauer untersucht werden. 

Wissenschaftliche Empfehlungen werden umgesetzt

Nach Einschätzung der Forscher folgen viele Vereine mit ihrem Vorgehen damit den wissenschaftlichen Empfehlungen. Diese beinhalten, die Rückkehr eines Spielers nach einer Verletzung nicht als ein einzelnes Ereignis, sondern einen in verschiedene Phasen untergliederten Prozess zu verstehen, bis schließlich die ursprüngliche Leistungsfähigkeit wieder erreicht ist. Ebenso soll die Entscheidung auf messbaren, zuvor festgelegten Kriterien basieren und nicht eine Einzelentscheidung, sondern gemeinsam getroffen werden. Wichtig sei hier insbesondere die Absprache zwischen Spieler, Trainer, medizinischen und wissenschaftlichen Personal.

Die Inhalte basieren auf der Studie "Return-to-Play Practices Following Hamstring Injury: A Worldwide Survey of 131 Premier League Football Teams", die 2020 in Sports Medicine veröffentlicht wurde.

Literatur

  1. Dunlop, G., Ardern, C. L., Andersen, T. E., Lewin, C., Dupont, G., Ashworth, B., ... & McCall, A. (2019). Return-to-Play Practices Following Hamstring Injury: A Worldwide Survey of 131 Premier League Football Teams. Sports Medicine, 1-12.
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    1. Van Der Horst, N., Backx, F. J. G., Goedhart, E. A., & Huisstede, B. M. (2017). Return to play after hamstring injuries in football (soccer): a worldwide Delphi procedure regarding definition, medical criteria and decision-making. British journal of sports medicine, 51(22), 1583-1591.

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    2. Zambaldi, M., Beasley, I., & Rushton, A. (2017). Return to play criteria after hamstring muscle injury in professional football: a Delphi consensus study. Br J Sports Med, 51(16), 1221-1226.

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    3. Ekstrand, J., Lundqvist, D., Davison, M., D’Hooghe, M., & Pensgaard, A. M. (2019). Communication quality between the medical team and the head coach/manager is associated with injury burden and player availability in elite football clubs. Br J Sports Med, 53(5), 304-308.

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