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Verletzung des langen Adduktors

Videoanalyse-Studie grenzt Mechanismus bei der Verletzung des langen Adduktors ein

Athletik
Medizin
Der deutsche Fußball-Nationalspieler Julian Brandt kämpft im Länderspiel gegen Serbien im Zweikampf um den Ball. Die Position, die er einnimmt dehnt seine Adduktoren.
    • Richtungswechsel, Passen oder Schießen, lange Ausfallschritte und Sprünge sind Risikosituationen für Verletzungen des langen Adduktors.
    • Häufige Verletzungsursache ist eine plötzlich schnelle Aktivierung während einer raschen Dehnung.
    • 12 von 17 Verletzungen (71 %) traten ohne Gegnerkontakt auf.
    • Exzentrisches Training, zur Schulung der schnellen Muskelaktivierung bei vorhergehender Dehnung dient zur Verletzungsprävention.
    • Aufgrund von Studieneinschränkungen, könnte weitere Forschung die gefundenen Ergebnisse ändern. 
Abstract

Verletzungen in der Leistengegend und insbesondere des langen Adduktors treten häufig im Fußball auf. Erstmals hat eine Studie Videomaterial von Spielszenen zu den Ursachen der Verletzungen von Profifußballern ausgewertet. Dabei stellte sie fest, dass der lange Adduktorenmuskel bei verschiedenen Bewegungsabläufen verletzt wird und es nicht nur eine einzige Risiko-Bewegungssituation ist, auf die eine Verletzung zurückgehführt werden kann. Jedoch hatten alle Verletzungen eine Gemeinsamkeit: eine schnelle Muskelaktivierung bei gleichzeitiger rascher Dehnung. Aufgrund von Einschränkungen der Studie sollten die Ergebnisse zunächst nur als vorläufig angesehen werden. 

Häufige Verletzung

Nach 34 Minuten ist schon alles vorbei. Gestützt von Mannschaftsarzt Dr. Müller-Wohlfahrt muss Jérôme Boateng im Halbfinale der Champions League 2018 den Platz verlassen. Die Diagnose: eine strukturelle Verletzung der Adduktorenmuskulatur. Er wird wochenlang ausfallen, die WM-Teilnahme ist in Gefahr. In demselben Spiel verletzt sich Arjen Robben an den Adduktoren, wenn auch nicht so gravierend. Verletzungen in der Leistengegend gehören zu den häufigsten Blessuren Im Fußball. In einem 25-köpfigen Spielerkader treten pro Saison zwei bis vier akute Leistenverletzungen auf. Dabei wird in einem Großteil der Fälle auch der lange Adduktorenmuskel, der sogenannte Musculus adductor longus (an der Innenseite des Oberschenkels), geschädigt. 

Unterschiedliche Bewegungsmuster vor Verletzung

Eine Studie mit wenigen Teilnehmern (17 Profifußballspieler aus Katar) aus dem Jahr 2018 von Andreas Serner und Kollegen [1] hat nun versucht, die Ursachen für die Verletzungen der langen Adduktoren per Videoanalyse auszumachen. Das Ergebnis: Verletzungen des langen Adduktors traten nach vier typischen Bewegungsmustern auf:

  • Richtungswechsel – 6 von 17 Spielern (35 %),
  • Passen oder Schießen – 5 von 17 Spielern (29 %),
  • Langer Ausfallschritt um den Ball zu erreichen – 4 von 17 Spielern (24 %),
  • Springen – 2 von 17 Spielern (12 %).

Es sind jeweils im Zeitraffer sieben aufeinanderfolgende Bilder von Fußballspielern zu sehen, die eine der vier typischen Bewegungsmuster der Verletzung des langen Adduktorenmuskels ausführen.
Es sind jeweils im Zeitraffer sieben aufeinanderfolgende Bilder von Fußballspielern zu sehen, die eine der vier typischen Bewegungsmuster der Verletzung des langen Adduktorenmuskels ausführen.

Aus biomechanischer Sicht können die identifizierten Bewegungsmuster der Verletzungen einer offenen oder geschlossenen Bewegungskette zugeordnet werden. Eine offene Bewegungskette beschreibt im Fall dieser Studie eine Bewegung, bei der das verletzte Bein zum Zeitpunkt der Verletzung nicht den Boden berührte (s. ABB 1B u. 1D). Dies war beim Schießen oder bei Sprüngen der Fall. Mit der geschlossenen Bewegungskette beschreiben die Autoren einen Bewegungsablauf, bei dem der Fuß des verletzten Beins den Boden berührt während sich das Becken nach vorne bewegt, zum Beispiel bei Richtungswechseln und langen Ausfallschritten zum Ball (s. ABB 1A u. 1C). 
Insgesamt schließen die Autoren, dass der lange Adduktor besonders dann verletzt wird, wenn er während einer raschen Dehnung plötzlich und heftig aktiviert wird. Bei Aktionen die der offenen Bewegungskette zuzuordnen sind, war es der Moment, wo der Oberschenkel sich verlangsamt und die Richtung geändert wurde. Bei Aktionen der geschlossenen Bewegungskette verletzten sich die Spieler insbesondere, während die Vorwärtsbewegung des Oberkörpers abgefangen wurde und eine hohe Gewichtsbelastung stattfand. Charakteristisch war bei nahezu allen Verletzungen eine nach außen gedrehte Hüfte. Die meisten der Verletzungen (gut zwei Drittel) traten ohne Gegnerkontakt auf.

Exzentrisches Krafttraining als Prävention

Aufgrund ihrer Ergebnisse empfehlen die Autoren, den langen Adduktor gezielt auf die Fähigkeit hin zu trainieren, einer schnellen Aktivierung während einer Dehnung standzuhalten. Dies kann durch exzentrisches Krafttraining erreicht werden. Dabei könnte es laut Serner und Kollegen helfen, auch ein Augenmerk auf die jeweiligen Synergisten, also diejenigen Muskeln, die bei einer bestimmten Bewegung unterstützend wirken, zu lenken. Dies gilt insbesondere für die Muskeln, die neben dem langen Adduktor bei plötzlichen Richtungsänderungen, beim Schießen, beim Strecken nach dem Ball oder bei Sprüngen zum Einsatz kommen. Auch sollten verschiedene Spielsituationen nachgestellt und trainiert werden, in der die Anwesenheit eines Gegenspielers (ohne Gegnerkontakt) ein schnelles Entscheidungshandeln erfordert, das unvorhersehbare Aktionen beinhaltet.

Nur wenige Studienteilnehmer

In der Studie selbst verglichen Andreas Serner und Kollegen Videoaufnahmen von 17 männlichen Profifußballern zwischen 18 und 40 Jahren, die sich während eines Spiels eine Verletzung des langen Adduktors zugezogen hatten. Es ist die erste Studie, die Videoanalysen einsetzt, um den Ursachen einer Muskelverletzung auf den Grund zu gehen. Es muss jedoch angemerkt werden, dass die Videoanalysen auf den von den Spielern angegeben Verletzungszeitpunkt beruhen und 17 eine geringe Anzahl an Studienteilnehmern ist. Eine weitere Unsicherheit bringt die Videoauswertung, die auf der Interpretation der Autoren (beeinflusst von der Videoqualität und der Anzahl der Videokameras) beruht, mit sich. Die Autoren selbst geben an, dass es sich lediglich um eine Sondierungsstudie handelt und weitere Forschung notwendig ist, um das Ergebnis zu bestätigen.

Die Inhalte basieren auf der Originalstudie "Mechanisms of acute adductor longus injuries in male football players: A systematic visual video analysis. ", die 2018 im „British Journal of Sports Medicine" veröffentlicht wurde.

Weiterführende Links

Hier geht es zur zusammenfassenden Infografik der Originalstudie.

Literatur

  1. Serner A, Mosler AB, Tol JL, Bahr R, Weir A. Mechanisms of acute adductor longus injuries in male football players: A systematic visual video analysis. Br J Sports Med. 2018;1–8.
    Studie lesen
    1. Serner A, Mosler AB, Tol JL, Bahr R, Weir A. Mechanisms of acute adductor longus injuries in male football players: A systematic visual video analysis. Br J Sports Med. 2018;1–8.