Sportpsychologie: Game changer in der Trainer*innenausbildung
Blogbeitrag von Lena-Claire Schulz im November 2023
Verantwortet seit diesem Jahr als Psychologin die sportpsychologischen Konzepte in der Trainer*innenausbildung der DFB-Akademie
Arbeitete fünf Jahre als Sportpsychologin im Leistungszentrum von Eintracht Frankfurt
Studierte Psychologie mit Schwerpunkt in Arbeits- und Organisationspsychologie und Sportpsychologie an der Universität Frankfurt, ist zertifizierte sportpsychologische Expertin (asp) und verfügt über eine systemische Coachingausbildung (INeKO)
Sportpsychologie als „Game Changer“ – das mag natürlich überspitzt klingen. Dennoch würde kaum jemand die Bedeutung der Psychologie im Sport bestreiten. Oft werden die Gründe für das Gelingen oder Misslingen von sportlichem Erfolgen im Fußball von Trainer*innen psychologischen Faktoren zugeschrieben. Dann geht es zum Beispiel um Teamgeist, Motivation, Konzentration oder die Einstellung der Spieler*innen oder des Teams. Trainer*innen sind in diesem Zusammenhang selbst der Schlüssel für die Umsetzung psychologischer Leistungsfaktoren und das Erreichen sportlicher Ziele. Sportpsychologisches Wissen und Handeln wird somit zu einer wesentlichen Kompetenz, die erfolgreiche Trainer*innen auszeichnet. Damit sie diesen Anforderungen gerecht werden können, fokussieren wir uns in der Ausbildung vermehrt auf den Aufbau sportpsychologischer Kompetenzen.
Sportpsychologie: Ein wichtiger Performance-Bereich im DFB
Seit gut einem halben Jahr bin ich als Psychologin für die Vermittlung sportpsychologischer Kompetenzen in den verschiedenen Lizenzstufen der Trainer*innenausbildung verantwortlich. Schon seit mehreren Jahren arbeiten Sportpsycholog*innen in deutschen Leistungszentren eng mit Spieler*innen und Trainer*innen zusammen, sind fester Bestandteil der Klubs. Auch in den Nationalteams gehören sie zu den Funktionsteams und stehen im engen Austausch mit Christoph Herr, der selbst die U21 sportpsychologisch begleitet und den Bereich beim Deutschen Fußball-Bund koordiniert. Mit der neuen Stelle in der Trainer*innenausbildung fördert der DFB eine ganzheitliche Integration der Sportpsychologie in den deutschen Fußball.
Bisher war eine sportpsychologische Begleitung nur in der Pro-Lizenz-Ausbildung verankert – nun erweitert der DFB diesen Ansatz auf weitere Aus- und Weiterbildungsformate für Trainer*innen. Ein wichtiger Schritt, um den Bedürfnissen der Trainer*innen im modernen Fußball gerecht zu werden. Das Interesse hat enorm zugenommen und sie erkennen den Vorteil der sportpsychologischen Arbeit, sie möchten u.a. wissen, wie sie ihre eigene Leistungsfähigkeit und mentale Gesundheit erhalten und ausbauen können, um ihren Beruf bestmöglich ausführen zu können. Dafür tragen sie in ihrer Position die Verantwortung – nicht nur für sich, sondern auch für ihre Spieler*innen. Darüber hinaus beschäftigt es sie natürlich, wie die Methoden der Sportpsychologie sie unterstützen können, ihre Spieler*innen in ihrer Entwicklung zu fördern. Heutzutage ist es für Trainer*innen essenziell – egal in welcher Liga sie arbeiten – über diese Potentiale Bescheid zu wissen und sie in der Praxis anzuwenden.
Die Sportpsychologie als festen Bestandteil in der Ausbildung etablieren
Jeder Trainer, jede Trainerin hat eigene Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie unterschiedliche Voraussetzungen im Verein. Zudem besteht jedes Team aus unterschiedlichen Charakteren und untersteht somit ganz eigenen Dynamiken. Auch die verschiedenen Alters- und Leistungsklassen entscheiden über die Aufgaben und Anforderungen der Trainer*innen. Die sportpsychologischen Ausbildungskonzepte berücksichtigen diese Faktoren in den jeweiligen Lizenzen.
In den Modulen geben wir den Trainer*innen Werkzeuge für die Praxis an die Hand. Diese sind aber nur dann wirksam, wenn wir den Trainer*innen vermitteln, wann und wie sie diese einsetzen können. Die Methoden dienen nicht dem Selbstzweck, sondern müssen zur eigenen Trainings-, Spiel- und Führungsvision passen. Wir beleuchten in unserer sportpsychologischen Arbeit besonders die Rolle des Trainers oder der Trainerin als Führungskraft. Er oder sie gibt die Richtung vor und ist für das Team sowie dessen Entwicklung und Erfolg verantwortlich. Nicht selten ist die Mannschaft ein Spiegelbild des Trainers oder der Trainerin. Deshalb ist es wichtig, das eigene Handeln regelmäßig zu reflektieren. Das mag sehr banal klingen, aber auch dieser Prozess kann erlernt und optimiert werden.
Alle sportpsychologischen Inhalte und Module werden im engen Austausch und Absprache mit den Ausbilder*innen der entsprechenden Lizenzen gemeinsam erarbeitet. Wichtig ist: Die Themen müssen greifbar und in der Praxis anwendbar sein, deshalb ist es auch wichtig, dass wir auf die Fragen und Impulse der Trainer*innen aus ihrem Trainingsalltag eingehen. Wir versuchen auf Frontalunterricht zu verzichten – stattdessen setzen wir auf Workshop-Formate. Ziel ist es, die Sportpsychologie aus dem Seminarraum noch mehr auf den Platz zu bringen.
In den Lizenz-Lehrgängen selbst leite ich sportpsychologische Workshops, begleite Einheiten von externen Referent*innen und stehe im Dialog mit den Teilnehmer*innen. Der Austausch mit unseren Ausbilder*innen, sowie Trainer*innen, Stützpunktkoordinatoren*innen und weiteren Akteur*innen aus dem deutschen Fußball ist mir besonders wichtig. Dadurch ist es möglich, die Integration der Sportpsychologie in der Trainer*innenausbildung aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, wichtige Themen zu definieren und die Talententwicklung ganzheitlich voranzutreiben.
Die Potentiale der Psychologie im Fußball kennen und nutzen
Durch die neue Stelle in der Trainer*innenausbildung hat der DFB enormen Einfluss auf die Sportpsychologie im deutschen Fußball genommen. Trainer*innen mit sportpsychologischem Verständnis und einem gut gefüllten Werkzeugkasten können adäquat auf die Herausforderungen, mit denen sie in ihrer Praxis konfrontiert sind, reagieren und diese meistern.
Mein persönliches Ziel ist es, zukünftig alle Module der Lehrgänge mit einem Sportpsychologen oder einer Sportpsychologin zu besetzen. Mit dieser Maßnahme können wir die Teilnehmer*innen individueller begleiten, noch mehr sportpsychologischen Input vermitteln und die Coaching-Angebote intensivieren. Aus eigener Erfahrung und dem Feedback, welches ich von Teilnehmer*innen aus den Lizenz-Lehrgängen erhalten habe, ist der Bedarf und der Wunsch nach der Zusammenarbeit mit Sportpsycholog*innen im eigenen Klub groß. Trotz der positiven Entwicklung der Sportpsychologie in den letzten Jahren gibt es noch Hindernisse in der Umsetzung dieser Zusammenarbeit: Die Mehrheit der Klubs haben diese Position weder fest noch in Kooperation besetzt. Selbst in Leistungszentren steht die Anzahl an Spieler*innen und Trainer*innen nicht immer im passenden Verhältnis zu den Kapazitäten der Sportpsycholog*innen. Zudem reicht das für den Fachbereich eingeplante Budget in den Klubs meist nicht für das Umsetzen der benötigten Maßnahmen aus.
Oft wird Sportpsychologie auf ein Mentaltraining reduziert oder der/die Experte*in als Feuerlöscher in Krisensituationen verstanden. Der große Mehrwert besteht aber vor allem in der langfristig präventiven Arbeit zur Leistungsentwicklung und -erhaltung. Darüber hinaus gibt es noch weitere psychologische Arbeitsbereiche, die den Fußball voranbringen können. Zum Beispiel gibt es Kolleg*innen, die sich auf die Arbeits- und Organisationspsychologie spezialisiert haben und ihren Teil dazu beitragen können, die Rahmenbedingungen, die Mitarbeiterentwicklung und das Arbeitsumfeld im Klub zu verbessern.
Sportpsychologie ist ein Teilbereich des modernen Fußballs, der genauso wichtig ist wie etwa Technik, Taktik und Athletik – allerdings mit noch großem ungenutzten Potential. Aus diesem Grund kann die Sportpsychologie tatsächlich ein echter Game Changer sein.