Wissenstransfer in der Fußballmedizin: ein Mix aus Erfahrung und Daten

Blogbeitrag von Prof. Dr. Thomas Hauser im März 2023

    • Leiter Medizin und Wissenschaft in der DFB-Akademie

    • Mitglied der Medizinischen Kommission des Deutschen Fußball-Bundes

    • Inhaber der UEFA-Trainer A-Lizenz

    • Promotion auf dem Gebiet der Sportwissenschaft / Sportmedizin / Leistungsphysiologie

    • Professor für Leistungsdiagnostik und Trainingssteuerung in den Spielsportarten

    • LinkedIn-Profil

Jeder von uns kennt es. Schnupfen, Husten, Heiserkeit. Nicht bei jedem kleiner Zipperlein gehen wir zu unserem Hausarzt oder unserer Hausärztin in die Praxis. Doch was machen wir, wenn wir mit unserem Wissen und allgemeinen Ratschlägen nicht mehr weiterkommen, wenn Schmerzen zu groß werden? Welchen Expert*innen schenken wir in ernsten Situationen unser Vertrauen, welche medizinischen Maßnahmen lassen wir zu und welche lehnen wir ab? Welchen Informationen aus dem Internet oder von ChatGPT können wir trauen?

Die richtige Entscheidung zu treffen, wird mit Blick auf die über uns hereinstürzende enorme Informationsflut sowie der sich rasant entwickelten künstlichen Intelligenz zunehmend komplexer. Intelligenz sind aber eben nicht nur das Sammeln und auf Basis von Algorithmen berechnete Daten, sondern vielmehr die menschliche Fähigkeit, diese in einen Kontext einzubinden, sie interpretieren zu können. Der Umgang mit der Flut an Informationen, die Entwicklung von persönlicher Risikokompetenz sowie die Fähigkeit, mit Unsicherheit leben zu können, werden zukünftig neben Schreiben und Lesen wichtige Grundkompetenzen unseres Lebens sein. Sofern Sie, liebe Leser*innen dieses Blogs, sich näher mit diesem Thema beschäftigen möchten, empfehle ich unser neuestes wissenschaftliches Paper „Entscheidungen treffen“.

Wissenstransfer in die Fußballpraxis

Auch Ärzt*innen treffen tagtäglich wichtige Entscheidungen, die zum einen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und zum anderen auf persönlichen Erfahrungen basieren. Dieses Wissen gilt es stetig weiterzuentwickeln. Um die neuesten medizinischen Erkenntnisse aus der Medizin und Wissenschaft auch in den Fußball transferieren und diskutieren zu können, führen wir neben der Bundesligaärztetagung zweimal jährlich die Fortbildung Fußballmedizin durch, zu der alle Ärzte*innen und Physiotherapeut*innen aus dem Profi- und Amateurfußball herzlichst eingeladen sind. Ein besonderes Highlight für uns und den gesamten DFB-Campus war die Durchführung des 8. UEFA-Medical Symposiums Ende Januar 2023.

Wir sind stolz, mit über 400 Ärzte*innen aller europäischen Nationalmannschaften, der Top-Clubs der UEFA Champions League, der weiblichen und männlichen deutschen Profiligen sowie DFB-Nationalmannschaften und vielen verschiedenen Wissenschaftler*innen Plattform für den Austausch von Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen gewesen sein zu dürfen. Besonders freuen wir uns über die rege Teilnahme vieler Fußballer*innen an unserer Online-Sprechstunde „Vereinsheim“, die wir eine Woche nach dem Symposium durchgeführt haben. Uns war und ist es stets wichtig, eine Brücke zu allen an der Fußballmedizin interessierten Trainer*innen, Spieler*innen und Funktionsteams aus dem Amateurfußball zu schlagen und somit deutlich zu machen, dass der DFB-Campus für Elite- wie auch Amateurfußball gleichermaßen ein analoger und digitaler Ort des Austausches und gemeinsamer Weiterentwicklung ist.

Sportmedizin greifbar machen

Diese Perspektive konnten wir bereits Ende Februar 2023 mit einer weiteren Veranstaltung sichtbar machen. Mit unserer ersten Ausgabe des Workshops „Angewandte Anatomie im Fußball“, den wir in Kooperation mit dem Universitätsklinikum Frankfurt organisierten, konnten wir vielen Vertreter*innen des Amateurfußballs die Möglichkeit geben, echte Muskel, Nerven, Blutbahnen und Knochen zu tasten, zu fühlen und zu erleben und somit ein Verständnis für den menschlichen Organismus zu erhalten. Denn schließlich trainieren wir in unseren Trainingseinheiten diesen Organismus, wir sprechen über Muskel- oder Knieverletzungen und haben dabei unsere ganz eigenen gedanklichen Vorstellungen dieser Phänomene. Der Workshop vermittelte erstmalig einen konkreten und realistischen Einblick in die Anatomie des menschlichen Körpers, der von allen Teilnehmenden als großer Mehrwert beschrieben wurde.

Die anatomische Kenntnis ist nicht zuletzt auch für eine der schwierigsten Verletzungen von enormer Bedeutung: Kreuzbandverletzungen. In einem interdisziplinären Team aus Ärzt*innen, Physiotherapeut*innen und Sportwissenschaftler*innen führen wir in regelmäßigen Abständen medizinische und physiotherapeutische Untersuchungen sowie biomechanische Testungen mit unseren weiblichen U-Nationalmannschaften durch. Ziel des angewandten sportwissenschaftlichen Projekts ist die Erarbeitung von individuellen Risikoprofilen sowie daraus ableitbaren individuellen Trainingsempfehlungen für unsere Nationalspielerinnen. Die enge Verzahnung mit den Athletik- und Fitnesstrainer*innen der DFB-Teams stellt hierbei eine wichtige Komponente unserer Arbeit dar, um die wertvollen Ergebnisse auch in praktische Ableitungen überführen und in Anwendung bringen zu können.

Im Austausch bleiben

Die Zusammenführung von verschiedenen sportwissenschaftlichen Disziplinen wie der Trainings- und Bewegungswissenschaft, Biomechanik, Sportpädagogik und -psychologie, Sportmedizin und Neurowissenschaften spielt hierbei eine besondere Rolle. Diese wird zukünftig im Rahmen der wissenschaftlichen Unterstützung im Spitzensport weiter an Bedeutung gewinnen. Aus diesem Grund wird die sportwissenschaftliche Ausbildung von Studierenden mit direktem Bezug zum Fußball ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Vereine und Verbände sein.

Wir freuen uns daher, Sie, liebe Leser*innen, auf dem DFB-Campus bei einer unserer Veranstaltungen oder auf unserer Website begrüßen und mit Ihnen in den Austausch kommen zu können und somit die gemeinsame Weiterentwicklung der Fußballmedizin und der konkreten Anwendung von sportwissenschaftlichen Erkenntnissen im Spitzen- und Amateurfußball kritisch voranzutreiben.

Der Umgang mit der Flut an Informationen, die Entwicklung von persönlicher Risikokompetenz sowie die Fähigkeit, mit Unsicherheit leben zu können, werden zukünftig neben Schreiben und Lesen wichtige Grundkompetenzen unseres Lebens sein.
Prof. Dr. Thomas HauserLeiter Medizin und Wissenschaft in der DFB-Akademie