Spielanalyse
Im Detail: Frankreichs dominanter Sieg über Neuseeland
Die Gastgeberinnen der Olympischen Spiele sorgten von Beginn an für klare Verhältnisse
Christopher Toetz
Christopher Toetz, Redakteur der DFB-Trainerzeitschrift „Fußballtraining“, analysiert Qualitätsmerkmale im internationalen Fußball.
Vor dem letzten Vorrundenspiel der Gruppe A war klar, dass beide Teams punkten mussten, um sich für das Viertelfinale zu qualifizieren. Während Neuseeland beide vorherigen Partien verloren hatte, stand Frankreich nach der Niederlage gegen Kanada unter Zugzwang.
Frühzeitige Rollenverteilung
Mit Anpfiff der Partie wurde deutlich, dass die favorisierten Französinnen hier nichts anbrennen lassen wollten. Jede Aktion, ob mit oder ohne Ball, war von hoher Intensität und Leidenschaft geprägt, was die Überlegenheit, die sich in diesem Spiel bis zum Ende durchzog, frühzeitig festigte. Dabei ging das Team von Neuseeland durchaus mutig in die Partie und versuchte, aus einem 4-4-2-Mittelfeldpressing Ballgewinne mit Umschaltmöglichkeiten zu erzielen sowie im geordneten Ballbesitz spielerische Lösungen zu finden. Letztlich blieb es beim Versuch; am Ende standen nur 29 % Ballbesitz und zwei Torschüsse auf dem Zettel. Frankreich war an diesem Abend zu stark.
Hohes Anlaufen
Eine Stärke Frankreichs war das intensive Pressing. In einem 4-3-3 setzten sie die Neuseeländerinnen oftmals im Angriffsdrittel unter Druck. Dabei ließen sie ihre Gegnerinnen im Idealfall über eine freie Innenverteidigerin aufbauen, die im weiteren Verlauf direkt von der ballnahen Achterin attackiert und durch das konsequente Nachrücken sowie das enge Zustellen der umliegenden Anspielstationen isoliert wurde. Aufgrund des Ball- und Raumdrucks reagierten die Neuseeländerinnen meist mit langen Pässen, auf die die "Les Bleues" wesentlich besser vorbereitet waren.
Situatives Umschalten
Durch das starke Defensivverhalten erzielte Frankreich etliche Ballgewinne, die sie unabhängig von der Zone der Balleroberung punktuell für Kontersituationen nutzten. Diese wurden vorwiegend durch die frei bespielbaren Räume, eine vorwärtsgerichtete Dynamik nach Balleroberung und den unmittelbar möglichen Druck auf den Ballführenden bestimmt. Hierbei überzeugten Kreativspielerinnen wie Baltimore, Karchaoui oder Cascarino, die das Tempo mit ihren ausgeprägten technischen Fähigkeiten hochhalten konnten.
Nach einem umkämpften Duell zwischen Geyoro und Neuseelands zentraler Mittelfeldspielerin (ZM), "sammelt" Henry den freien Ball auf und geht umgehend ins Tempodribbling über. Mit Henry rücken weitere Französinnen zielstrebig nach.
Weit in der gegnerischen Hälfte wird Henry von der Außenverteidigerin (AV) unter Druck gesetzt. Aufgrund des Geschwindigkeitsvorteil kann Henry diese jedoch einfach umkurven und in den Lauf von Cascarino passen.
Cascarino dribbelt in den Strafraum und sucht den Abschluss, der jedoch knapp das Tor verfehlt.
Frankreichs Mbock klärt eine Flanke in Richtung Außenspur, ...
... wo Baltimore den Ball zügig verarbeiten und in die Tiefe passen kann.
Dort steht Mittelstürmerin Katoto, die umgehend aufdreht und Tempo aufnimmt. Gleichzeitig sprintet die vorherige Passgeberin Baltimore in die Tiefe.
Nahe der Mittellinie hat Baltimore Katoto bereits überholt, die ihr daraufhin den Ball im passenden Moment in den Lauf legt.
Am Strafraum sucht Baltimore das direkte Duell gegen die Außenverteidigerin (AV), die sie mittlerweile stellen konnte. Baltimore kann sich jedoch einen entscheidenden Meter absetzen und den Ball in die Mitte flanken, wo bereits eine Gleichzahl herrscht. Letztlich ist es Katoto, die die Flanke mit dem Kopf zum 1:0 verwertet.
Ballbesitz festigt Überlegenheit
Frankreich setzte aus einer 4-3-3-Formation heraus auf ein strukturiertes Positionsspiel mit vielen Rauten- und Dreiecksbildungen. Einzig die alleinige Sechserin Amandine Henry wirkte etwas freier in der Positionsfindung und postierte sich im Aufbauspiel nicht nur im Zentrum, sondern auch zwischen oder neben den beiden Innenverteidigerinnen. Auf dem Weg nach vorne nutzten die Gastgeberinnen bevorzugt die linke Spielfeldseite. Mithilfe der spiel- und dribbelstarken Offensivspielerinnen Karchaoui und Baltimore sowie der ergänzenden Außenverteidigerin Bacha versuchten sie, die Halb- und Außenspur zu überladen. Gleichzeitig besetzten die ballfernen Offensiven gleichmäßig den Strafraum, sodass variable Hereingaben von außen oder der Grundlinie häufig für Gefahr sorgten.
Mbock passt zu Bacha, die zielstrebig nach vorne an- und mitnimmt. Zusammen mit Baltimore, die sich frühzeitig nach innen abgesetzt hat, kann sie eine 2-gegen-1-Situation kreieren.
Bacha entscheidet sich für den Pass zu Baltimore, die mit dem ersten Kontakt nach vorne dribbelt. Bacha bleibt in der Aktion und läuft in die Tiefe.
Die Außenverteidigerin (AV) greift nun ein und sucht das direkte Duell mit Baltimore. Diese zeigt jedoch ein hohes Durchsetzungsvermögen ...
... und bleibt bis zum Strafraum im Ballbesitz. Von dort spielt Baltimore eine Hereingabe in Richtung der lauernden Katoto, der Pass wird jedoch im letzten Moment geklärt.
Karchaoui bietet sich zwischen den Linien für ein Zuspiel an. Mbock dribbelt an, passt den Ball jedoch zu Baltimore in die Außenspur.
Mit dem Pass läuft Karchaoui umgehend in die Tiefe und zieht so die ballnaher Gegnerin mit. Den gewonnenen Raum nutzt Baltimore für das sofortige Dribbling nach vorne und mit einem anschließendem gut getimten Pass hinter die Abwehr.
Karchaoui setzt sich gegen die Außenverteidigerin (AV) durch und erläuft das Zuspiel. Katoto erkennt die Situation frühzeitig und setzt sich im Rücken der Innenverteidigerin (IV) ab.
Im Strafraum spielt Karchaoui eine direkte Hereingabe in die Mitte, wo Katoto nun aufgrund ihres Freilaufverhaltens unbedrängt einschieben kann.
Verdienter Sieg
Am Ende des Abends verbuchte Frankreich einen verdienten 2:1-Sieg, der unterm Strich auch höher hätte ausfallen können. Die Gelegenheiten waren da: 19 Torschüsse, davon zwei Pfostentreffer, verbuchten sie. Neuseelands zwischenzeitlicher Ausgleich aus dem Nichts – ein sehenswerter Weitschuss kurz vor dem Halbzeitpfiff – hätte Frankreichs fehlende Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor beinahe bestraft. Doch der erneute Führungstreffer kurz nach dem Seitenwechsel erstickte einen möglichen Auftrieb für die Neuseeländerinnen im Keim.
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