Spielanalyse
Thiago Mottas Juventus – zurück in die Erfolgsspur?
Wie und wo die Handschrift des neuen Trainers bereits zu erkennen ist.
Marius Fischer
Marius Fischer, Redakteur der DFB-Trainerzeitschrift „Fußballtraining“, analysiert Qualitätsmerkmale im internationalen Fußball. Nebenbei ist er als Spielanalyst bei Viborg FF in der dänischen Superliga tätig.
Nach neun Meisterschaften in Folge zwischen 2011 und 2020 ist die Dominanz der alten Dame in den vergangenen Jahren verloren gegangen. Zwei vierte, ein dritter und sogar ein siebter Platz seit dem letzten Titel – zu wenig für den italienischen Rekordmeister. Um Juventus wieder auf Kurs zu bringen, wurde vor der laufenden Saison Trainer Thiago Motta verpflichtet. Der 42-Jährige führte den FC Bologna in der vergangenen Saison mit einem attraktiven Spielstil überraschend in die Champions League und soll nun auch in Turin für Erfolge sorgen.
Ein neuer Spielstil
Motta hat zu Beginn der Saison einige Veränderungen vorgenommen, die sich bereits in der Grundformation bemerkbar machten: Während Juve unter Allegri stets in einem 3-5-2 agierte, setzt der neue Trainer auf eine 4-3-3-Struktur, die allerdings in der Positionierung der Spieler sehr flexibel ist und defensiv häufig in ein 4-2-3-1 oder sogar 4-2-4 übergeht. Zudem fordert Motta mehr Spielkontrolle als sein Vorgänger, was sich auch am Ballbesitzwert ablesen lässt: Dieser stieg in den bisherigen elf Ligaspielen im Vergleich zur Vorsaison um vierzehn Prozent auf 62 Prozent. Juventus baut deutlich geduldiger auf und sucht häufiger nach "flachen Lösungen" statt lange Bälle zu spielen. Angesichts der vielen Veränderungen auch im Kader ist der Saisonstart durchaus gelungen. Zwar belegt die Mannschaft nur den sechsten Tabellenplatz, der Rückstand auf Tabellenführer SSC Neapel beträgt jedoch nur vier Punkte.
Mehr Geduld und Ballzirkulation
Mottas Spielphilosophie basiert auf viel Ballzirkulation und Kontrolle im Spielaufbau. Juves gegnerischer PPDA-Wert (Pässe, bis es zu einer Defensivaktion kommt) liegt im Schnitt bei 19,48 - Bestwert in der Serie A und eine Steigerung um 60 Prozent im Vergleich zur Vorsaison. Dabei setzt Motta auf viele Positionswechsel und ein dynamisches Besetzen der Räume - immer mit dem Ziel, eine numerische Überzahl in Ballnähe zu schaffen. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch der Torhüter, der immer wieder als zusätzliche Anspielstation in den Spielaufbau einbezogen wird. Allerdings fehlt es Juve bislang vor allem gegen tief stehende Gegner an Risikobereitschaft und progressiven Pässen. Ein Großteil des Ballbesitzes findet vor der gegnerischen Pressinglinie statt und es gelingt nur selten, klare Torchancen herauszuspielen. Bei der Anzahl der Torschüsse pro Spiel liegt Juventus daher derzeit nur auf dem elften Platz im Ligavergleich.
Di Gregorio passt in die Halbspur auf Thuram, der auf McKennie klatschen lässt.
McKennie passt mit dem ersten Kontakt zu Fagioli, der zurück zu Di Gregorio passt.
Di Gregorio passt in die linke Halbspur zu Thuram.
Perin passt zu Kalulu, der nach vorne andribbelt, ...
... in die rechte Außenspur zu Savona passt und seinen Lauf vorsetzt. McKennie startet aus der Zentrumsspur einen Tiefenlauf ...
... und wird von Savona in der rechten Außenspur angespielt.
Tiefenläufe und Überladungen
Im Angriffsdrittel agiert Juve mit vielen Läufen der Achter in die Tiefe - vor allem in den Halbspuren. Vor allem Weston McKennie verfügt über ein sehr gutes Timing. Mit 21,93 pro 90 Minuten absolviert die alte Dame hinter dem AC Mailand die zweitmeisten progressiven Läufe. Auf den Außenbahnen wird gerne mit vier oder sogar fünf Spielern überladen, sodass auch hier immer mehrere Anspielstationen zur Verfügung stehen und die dribbelstarken, dynamischen Offensivspieler im besten Fall in 1-gegen-1-Situationen gebracht werden können. 25,20 Dribblings pro 90 Minuten sind bei einer Erfolgsquote von 60 Prozent Ligabestwert. Gelingt der Durchbruch über die Halb- oder Außenspur, soll eine gute Strafraumbesetzung für einfache Tore sorgen. Dabei rücken neben den Stürmern und Außenspielern auch die zentralen Mittelfeldspieler immer wieder in den Strafraum ein, um als Abnehmer für flache Hereingaben zu fungieren.
Juventus überlädt die rechte Außenspur. Conceição passt zu Cabal.
Cabal spielt einen Chippass hinter die gegnerische Abwehrkette in den Lauf von McKennie, ...
... dessen Ablage Vlahović aus kurzer Distanz ins Tor schießt.
Kalulu passt zu Conceição. McKennie startet einen Tiefenlauf.
Conceição passt hinter die Abwehrkette in den Lauf von McKennie, ...
... dessen flache Hereingabe im letzten Moment geblockt wird.
Kompaktes Pressing
In den ersten acht Ligaspielen kassierte Juventus nur ein Gegentor und erzielte in fast allen defensiven Kennzahlen Bestwerte. Die beiden folgenden Spiele endeten jedoch 4:4 bzw. 2:2, sodass das Abwehrbollwerk etwas ins Wanken geriet. Dennoch präsentiert sich Juve bislang als sehr defensivstark und schwer zu bespielende Mannschaft. Nur 6,94 Torschüsse pro 90 Minuten werden im Schnitt zugelassen. Klarer Spitzenwert in Italien und Platz drei unter den fünf besten Ligen Europas. Dabei presst Juve meist aggressiv - der PPDA-Wert sank im Vergleich zur Vorsaison um 20 Prozent auf 11,72. Im Angriffspressing wird aus dem 4-3-3 häufig ein 4-2-4, bei dem einer der Achter mit dem Stürmer in vorderster Linie anläuft. Im Mittelfeldpressing ist eher ein 4-2-3-1 zu erkennen, bei dem Juventus versucht, den Gegner in die Außenspuren zu drängen. Ein klares Erkennungsmerkmal von Mottas Mannschaft ist, dass die Innenverteidiger sehr aggressiv agieren und häufig aus der Abwehrkette herausrücken, um den Gegner im Mittelfeld unter Druck zu setzen.
Juventus presst aus einem 4-2-4 heraus. Mit dem Pass zwischen den Innenverteidigern (IV) startet Fagioli das Pressing.
Der Pass in die Außenspur wird sofort angelaufen und der Gegner zu einem Rückpass gezwungen. Juventus schiebt geschlossen nach vorne.
Den erneuten Pass in die Außenspur laufen Locatelli und Weah aggressiv zu.
Juventus verteidigt im 4-2-3-1 Mittelfeldpressing. Der Pass in die Außenspur wird von Weah zugelaufen.
Mit dem Pass in die Halbspur stößt Danilo aus der Abwehrkette heraus und setzt den Passempfänger unter Druck.
Juventus stellt so eine Überzahl in Ballnähe her.
Die gegnerischen Innenverteidiger (IV) passen sich den Ball zu. Juventus presst erstmal nicht.
Mit dem Pass in die Halbspur stößt Innenverteidiger Danilo aus der Abwehrkette heraus ...
... und erobert den Ball.
Ausblick
Der Saisonstart von Juventus verlief vielversprechend - zumal sich die Mannschaft unter Thiago Motta an einen völlig neuen Spielstil im Vergleich zu seinem Vorgänger Massimo Allegri gewöhnen musste. Defensiv gehört die alte Dame bereits zu den besten Mannschaften Europas - im Angriffsdrittel fehlte es bisher jedoch oft an Durchschlagskraft. Im Spitzenspiel gegen Inter platzte der Knoten zwar offensiv mit vier Treffern, da Juve aber erstmals auch defensiv Probleme hatte, reichte es nur zu einem Unentschieden. Findet Motta nun die richtige Balance zwischen Stabilität, Kontrolle und Risikobereitschaft, könnte die alte Dame bereits in dessen erster Saison (wieder) um Titel mitspielen.
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