Spielanalyse
Effizienz vor dem Tor – Spanien schlägt Kroatien
Wir haben uns den 3:0-Erfolg der Furia Roja einmal genauer angesehen.
Marius Fischer
Marius Fischer, Redakteur der DFB-Trainerzeitschrift „Fußballtraining“, analysiert Qualitätsmerkmale im internationalen Fußball. Nebenbei ist er als Leiter der Analyseabteilung bei Viborg FF in der dänischen Superliga tätig.
Spanien hat durch den klaren Sieg im Auftaktspiel seine Mitfavoritenrolle auf den Titel bestätigt, und dabei gab es auch eine große Besonderheit: Das erste Mal seit dem Sieg im EM-Finale 2008 gegen Deutschland gewannen die Spanier bei einem großen Turnier ein Spiel, bei dem sie weniger Ballbesitz hatten. Ein Indiz für den veränderten taktischer Ansatz von Trainer Luis de la Fuente oder gab es abseits vom Ergebnis einige strukturelle Probleme im Spiel der Spanier?
Entscheidung in 15 Minuten
Beide Teams starteten nominell im 4-3-3. Ohne den verletzten Gavi begann bei den Spaniern Fabian Ruiz neben den gesetzten Pedri und Rodri im Mittelfeld. Auf den Außenbahnen bekamen Rekordspieler Yamal (jüngster EM-Starter aller Zeiten) und Nico Williams den Vorzug – beide sehr schnell und antrittsstark. Die Kroaten setzten im Mittelfeld auf das erfahrene Trio um Marcelo Brozovic, Mateo Kovacic und Luka Modric und in der Sturmspitze auf den formstarken Ante Budimir vom CA Osasuna. Nach einer dominanten Anfangsviertelstunde der Spanier übernahmen die Kroaten im Anschluss mehr und mehr die Initiative und kontrollierten den Ballbesitz. Genau in dieser Phase schlug Spanien jedoch eiskalt zu und entschied das Spiel mit drei schnellen Toren in 15 Minuten.
Spaniens fehlerhaftes "Achterpressing"
Das in unserer EM-Vorschau beschriebene "Hybrid-Pressing" war sehr gut zu beobachten. Vor allem zu Beginn des Spiels agierten die Spanier oft im hohen Angriffspressing und zwangen Kroatien zu langen Befreiungsschlägen oder gelangten selbst zu hohen Ballgewinnen. Im weiteren Spielverlauf verschob sich die Pressinghöhe jedoch immer mehr Richtung Mittellinie oder sogar in die eigene Hälfte. Aus einem 4-5-1 heraus pressten die Achter Pedri oder Fabian Ruiz aggressiv nach vorne, sodass sich anschließend oft eine 4-4-2 Struktur ergab. Hier gab es jedoch immer wieder Probleme beim Timing und der Kommunikation, wodurch zeitweise beide Achter hoch standen und um Rodri herum in der Zentrumsspur sehr viel Raum entstand. Da die Kroaten die Zentrumsspur ohnehin oft zusätzlich mit den Flügelspielern überluden, gelangen ihnen einige einfache Durchbrüche ins letzte Drittel.
Brozovic passt unter dem Druck von Pedri zu Modric, der von Ruiz angelaufen wird und auf Sutalo klatschen lässt.
Durch die hohe Position von beiden Achtern, ergibt sich ein großer Raum um Rodri herum, den Kroatien für einen Durchbruch nutzt, ...
... der zu einem gefährlichen Schnittstellenpass von Kovacic führt.
Brozovic passt unter Druck von Pedri zu Modric, der von Ruiz angelaufen wird.
Modric passt zu Stanisic, der auf Majer klatschen lässt. Rodri verlässt seine Position und presst.
Alle drei zentralen Mittelfeldspieler Spaniens stehen hoch, so dass Majer einen Tiefenpass auf den völlig freien Kovacic spielen kann.
Kroatiens strukturelles Pressingproblem
Kroatien presste das 4-4-3 der Spanier im bekannten 4-1-4-1 System – Luka Modric unterstützte Ante Budemir zumeist in der vordersten Linie und presste Spaniens Innenverteidiger Nacho. Den dadurch entstehenden Raum in der Halbspur besetzte Spanien sowohl mit Achter Ruiz als auch mit dem einrückenden Flügelspieler Nico Williams, während Linksverteidiger Mark Cucurella die Breite hielt. Kroatiens Außen- und Innenverteidiger mussten immer wieder rausrücken, um diesen Raum in der Halbspur zu schließen, wodurch sich für Kroatien Zuteilungsprobleme und für Spanien sehr gute Gelegenheiten für hohe Schnittstellenpässe hinter die Abwehrreihe ergaben.
Le Normand passt zu Ruiz, der von Modric angelaufen wird. Außenstürmer Williams kommt in der Halbspur entgegen und wird von Rechtsverteidiger Stanisic verfolgt.
Den dadurch enstehenden Raum im Rücken von Stanisic nutzt Ruiz für einen hohen Tiefenpass in den Lauf von Williams, ...
... der zu einer vielversprechenden 1-gegen-1-Situation kommt.
Rodri passt zu Nacho, der von Modric angelaufen wird.
Sutalo muss leicht aufrücken, um Williams in der Halbspur zu decken. Den dadurch entstehenden Raum im Rücken nutzt Nacho für einen Tiefenpass in den Lauf von Williams, ...
... der zu einer gefährlichen 1-gegen-1-Situation gelangt.
Konteranfälligkeit durch Zentrumsfokus
Die bereits erwähnte kroatische Überladung des Zentrums sorgte für verwaiste Außenspuren. Um diesen Raum zu füllen, standen Kroatiens Außenverteidiger häufig sehr hoch im Spielaufbau. Nach plötzlichen Ballverlusten mussten die Innenverteidiger daher einen sehr großen Raum gegen Spaniens schnelle Offensivspieler abdecken – sowohl horizontal als auch vertikal. Diesen Umstand nutzte La Furia Roja beim 1:0 aus, als Fabian Ruiz einen von Cucurella abgefangenen Ball schnell in die Tiefe auf Alvaro Morata spielte. Kroatiens Innenverteidiger befanden sich in Unterzahl und konnten den Konter daher nicht mehr abfangen.
Ein von Cucurella abgefangener Ball landet über Rodri bei Ruiz.
Ruiz spielt einen Schnittstellenpass zu Morata. Sutalo muss zwei Spieler abdecken und reagiert daher zu spät, ...
... wodurch Morata im 1-gegen-Torwart das 1:0 erzielt.
Kein "typisches" 3:0
Was auf dem Ergebniszettel deutlich aussieht, war vom Spielverlauf her nicht ganz so klar. Die Spanier erzielten in einer eigentlichen Kontrollphase der Kroaten aus ihren ersten drei Torchancen drei Treffer und entschieden dadurch unerwartet früh das Spiel. Unabhängig davon zeigten sie vor allem im Pressing einige Timing- und Kommunikationsprobleme im Zentrum, die Trainer Luis de la Fuente vor dem nächsten Spiel gegen Italien zu verbessern hat. Die Kroaten hingegen zeigten gute Ansätze beim Überspielen der ersten Pressinglinie, ließen jedoch Zielstrebigkeit und Effizienz im letzten Drittel vermissen.
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