Spielanalyse

Trends und Daten zur Vorrunde der EM

Vor Beginn der Achtelfinals werfen wir einen auf Daten basierenden Blick zurück auf die 36 Vorrundenspiele der EM.

Spanien beim Torjubel gegen die Slowakei.
  1. Marius Fischer

    Marius Fischer, Redakteur der DFB-Trainerzeitschrift „Fußballtraining“, analysiert Qualitätsmerkmale im internationalen Fußball. Auf Twitter ist er unter dem Namen „Gegenpressing91" vor allem für seine Datenvisualisierungen bekannt.

Die 36 Vorrundenspiele der Europameisterschaft sind absolviert - ein guter Anlass, einen Blick auf Daten und Fakten der ersten Turnierwochen zu werfen mit dem Fokus auf Torerzielung, Torvorbereitung sowie das Pressingverhalten der Mannschaften.

Überraschend viele Tore

2,62 Tore pro Spiel - genauso viele wie bei der WM 2018 und deutlich mehr als bei der vergangenen Europameisterschaft (2,12). Vor allem auf Grund der besonders langen Saison und der kurzen Pausen für die Spieler ein hoher Wert. Die Torschützenliste bei den Spielern führt nach der Vorrunde der Portugiese Cristiano Ronaldo mit fünf Treffern an, gefolgt von fünf Spielern mit jeweils drei Toren. Auffällig ist, dass bisher lediglich 19% der Tore nach Standardsituationen erzielt wurden. Bei der WM 2018 lag dieser Wert auf das gesamte Turnier gesehen bei 44%. Dafür gab es diesmal überraschend viele Eigentore - bereits acht Mal traf ein Spieler ins eigene Tor. Diese und einige weitere interessante Fakten finden sich in der folgenden Grafik wieder:


Von der "Assist Zone" in die "Goldene Zone"

Bei den Zonen, aus denen die Treffer erzielt wurden, dominiert erneut die "Goldene Zone" zentral vor dem Tor. Knapp 58% aller Tore wurden von innerhalb des Fünfmeterraums oder unmittelbar dahinter erzielt. Nimmt man den gesamten zentralen Bereich des Strafraums dazu, kommt man sogar auf 78%. Ebenfalls viele Treffer fielen aus dem Bereich um den Strafraumkreis herum. Tore aus viel weiterer Distanz gab es bisher (mit einer Ausnahme aus 45 Metern) noch nicht - ein Hinweis auf die veränderte Schussauswahl der Mannschaften, die zunehmend in Richtung Qualität statt Quantität geht. Bei der Torvorbereitung steht die "Assist Zone" seitlich neben dem Fünfmeterraum im Fokus. Knapp 20% aller Tore aus dem Spiel heraus wurden von dort vorbereitet. Doch auch der Trend der Halbfeldflanke setzt sich bisher fort - bereits acht Treffer wurden auf diese Art und Weise erzielt. Eine genau Aufschlüsselung liefern die folgenden Grafiken:

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    1. Berardi dribbelt in der rechten Halbspur. Locatelli startet zeitgleich einen Tiefenlauf in den Strafraum.

    2. Kurz vor der Grundlinie passt Berardi scharf vors Tor, wo Locatelli aus kurzer Distanz ein Tor erzielt.

    1. Berghuis spielt einen scharfen Pass auf Depay, der den Ball mit der Annahme an seinem Gegenspieler vorbei legt und in den Strafraum dribbelt. Wijnaldum startet aus der Zentrumsspur einen Lauf in den Strafraum.

    2. Depay passt in den Lauf von Wijnaldum, der aus kurzer Distanz ein Tor erzielt.

Verteidigen im tiefen Block

Das Verteidigen im tiefen Block war bei vielen Mannschaften in der Vorrunde ein wichtiger Bestandteil ihrer Defensivausrichtung. Während die kleineren Nationen auf Grund ihrer individuellen Unterlegenheit häufig in eine abwartende, defensive Rolle gedrängt wurden, gab es auch bei den Top-Mannschaften wenig hohes Pressing und viel Kompaktheit im Mittelfeld. Besonders nach einer Führung zogen sich die Mannschaften deutlich zurück und praktizierten ein Abwehrpressing, welches nur gelegentlich zu einem Mittelfeldpressing wurde. Eine Kennzahl, die das belegt, ist der PPDA-Wert (Passes per defensive action). Er gibt an, wie viele Pässe eine Mannschaft dem Gegner erlaubt, bis es zur einer Defensivaktion kommt. Je niedriger der PPDA-Wert, desto höher und intensiver das Pressing und Gegenpressing. Während bei der EM 2016 ganze fünf Mannschaften unter acht lagen und der Höchstwert aller Teams bei nur 18 lag, erreicht in diesem Jahr bisher nur Spanien einen Topwert. Einige Teams erlaubten dem Gegner sogar über 20 Pässe, bis es zu einer Defensivaktion kam - darunter auch Frankreich.

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Dominanz durch Gegenpressing

Vor allem die spanische Nationalmannschaft überzeugt bisher durch ein besonders effektives Gegenpressing. Nach Ballverlusten versuchen die Spieler, den Ball so schnell wie möglich zurückzugewinnen. Dadurch kommen die Spanier bislang auf eine sehr hohe Ballbesitzzahl von 75,7% - über 10% mehr als der Zweitplatzierte in dieser Wertung. Häufig wird der Gegner durch aggressives Anlaufen in die Außenspur gelenkt, wo es anschließend zu einem Fehlpass oder einem unkontrollierten Befreiungsschlag kommt, der Spanien zurück in Ballbesitz bringt.

    1. Nach einem Fehlpass von Spanien versucht Schweden in die Tiefe zu spielen, doch der Ballbesitzende wird sofort von F. Torres, Koke und Rodri unter Druck gesetzt.

    2. Durch das aggressive Anlaufen zwingt Spanien die Schweden in die Außenspur, wo der Ballbesitzende wiederum von drei Seiten gepresst wird.

    3. Dieser Druck führt zu einem Fehlpass, der von Rodri abgefangen werden kann.

Ausblick

Es wird interessant sein zu sehen, ob die zunehmende Eingespieltheit der Mannschaften zu weiteren Verbesserungen im Defensiv- und Offensivspiel führt. Bereits im Laufe der Vorrunde konnte man bei vielen Mannschaften deutliche Fortschritte sehen - vor allem im Ballbesitzspiel. Zudem wird sich zeigen, ob das Turnier den bisher hohen Toreschnitt von 2,62 beibehalten kann oder ob die vielen direkten Duelle der Top-Nationen eher in der Defensive entschieden werden und den Schnitt wieder nach unten korrigieren.

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Diese datenbasierte Analyse ist in Zusammenarbeit mit unserem Partner Exasol entstanden. 

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