Spielanalyse
Einwürfe – ein unterschätztes Angriffsmittel
Torchancen kreieren mit der häufigsten Standardsituation im Fußball
Marius Fischer
Marius Fischer, Redakteur der DFB-Trainerzeitschrift „Fußballtraining“, analysiert Qualitätsmerkmale im internationalen Fußball. Nebenbei ist er als Spielanalyst bei Viborg FF in der dänischen Superliga tätig.
Im Fußball gibt es durchschnittlich in etwa 50 Einwürfe pro Spiel – alle zwei Minuten wirft eine Mannschaft den Ball zurück ins Spiel. Trotzdem wird dieser häufigsten Standardsituation immer noch weniger Beachtung und Trainingszeit gewidmet als Eckbällen oder Freistößen. Dabei können Einwürfe ein durchaus effektives Angriffsmittel sein.
Mehr als Ballbesitzsicherung
Auf Einwürfe wurde in der Vergangenheit nur wenig Wert gelegt – es gab nur selten eingeübte Routinen oder abgestimmte Laufwege. Das änderte sich 2018 zum ersten Mal, als der FC Liverpool mit dem Dänen Thomas Gronnemark einen spezialisierten Einwurfcoach verpflichtete. Dieser machte darauf aufmerksam, dass eine Mannschaft im Schnitt nur nach jedem zweiten Einwurf im Ballbesitz bleibt – ein niedriger Wert. Doch sollte der Fokus nicht nur auf die Ballbesitzsicherung gelegt werden – mit der richtigen Technik und Taktik sind Einwürfe ein effektives Angriffsmittel zur Torerzielung.
Lange Einwürfe
Beim Thema "Torchancen aus Einwürfen kreieren" denkt man vor allem an lange Einwürfe. Der Engländer Rory Delap konnte den Ball besonders weit werfen und bereitete zwischen 2007 und 2013 für Stoke City mehr als 15 Tore direkt per Einwurf vor. Während viele Teams diese langen Einwürfe in den Strafraum in der Vergangenheit häufig erst bei einem Rückstand in den letzten Spielminuten anwendeten, gehören sie heutzutage mehr und mehr zum Standardreportoire von Mannschaften. Hohe Bälle in den Strafraum bringen immer eine potenzielle Torgefahr mit sich. Häufig erzeugen sie Chaos, verursachen Eckbälle oder zweite Bälle in aussichtsreicher Schussposition. Das kann neben der Chance auf einen Torerfolg zusätzlich für ein Momentum bei der ausführenden Mannschaft sorgen und den Druck auf den Gegner erhöhen.
Schmitz wirft den Ball an den Fünfmeterraum zu Thielmann. Uth positioniert sich im Rückraum.
Thielmann köpft in den Rückraum zu Uth, der per Volley ein Tor erzielt.
Pinnock wirft lang an den Fünfmeterraum, wo Ajer den Ball ...
... auf Norgaard verlängert, der aus kurzer Distanz ein Tor erzielt.
Schnelle, clevere Einwürfe
Doch nicht nur die lange Variante kann für Torgefahr sorgen. Schnell ausgeführte und clevere Einwurfroutinen können den Gegner im Angriffsdrittel überraschen, Überzahlsituationen herstellen und für gute Flanken- und Abschlusssituationen sorgen. Hierfür ist es wichtig, dass sich die Spieler ohne Ball mit aufeinander abgestimmten Freilaufbewegungen Raum verschaffen und für Lücken beim Gegner sorgen. Denn trotz der vielen Möglichkeiten sind Einwürfe eine statische Standardsituation, bei der sich die ausführende Mannschaft nominell in Unterzahl befindet.
Alioski führt einen Einwurf schnell aus und wirft in den Lauf von Harrison.
Harrison flankt mit ersten Kontakt in den Strafraum auf Bamford, der per Volley ins Tor schießt.
Bader führt einen Einwurf schnell aus und wirft in den Lauf von Kempe.
Kempe behauptet den Ball und passt zurück auf den leicht eingerückten Bader.
Bader flankt auf Pfeiffer, der per Kopf ein Tor erzielt.
Ausblick
Auch wenn sie noch im Schatten der Eckbälle und Freistöße stehen, wird Einwürfen immer mehr Aufmerksamkeit im Training und bei der Spielvorbereitung zuteil. Spezialisten wie Thomas Gronnemark und die jüngsten Erfolge des FC Liverpool, FC Midtjylland und dem FC Köln haben gezeigt, wie wertvoll Einwürfe als Angriffsmittel sein können. Alle drei Teams liefern in der Kategorie "Torschüsse nach Einwürfen" jeweils Topwerte ab und verlieren den Ball deutlich seltener nach eigenem Einwurf. Dieser Wettbewerbsvorteil wird in Zukunft auch für andere Vereine immer wichtiger werden und den Fokus auf die häufigste Standardsituation im Fußball weiter erhöhen.
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