Spielanalyse

Liverpools Angriffsfußball 2.0

Die Reds überzeugen mit erfrischendem Angriffsfußball. Wir haben uns zwei taktische Details näher angeschaut.

Salah und Firmino, Angreifer des FC Liverpool, im Zusammenspiel vor der gegnerischen Abwehrkette.
  1. Lukas Hauer

    Lukas Hauer, Redakteur der DFB-Trainerzeitschrift „Fußballtraining“, analysiert Qualitätsmerkmale im internationalen Fußball. In seiner vorherigen Tätigkeit war er für die Spielanalysen bei den New York Cosmos zuständig.

Eine eingespielte und gutstehende Hintermannschaft zu bespielen, gehört wohl zu den schwierigeren Aufgaben im Fußballspiel. Damit der Angriff dynamisch ausgespielt werden kann, gilt es, Räume zu erkennen und für Mitspieler zu öffnen. Man könnte auch sagen, die gegnerische Verteidigung muss in Bewegung gebracht werden, sodass der eigene Angriff nicht stagniert. Angriffe mit Tempo zu Ende zu spielen, ist spätestens mit der Amtsübernahme von Jürgen Klopp eine der großen Stärken des FC Liverpool.

Spielerische Entwicklung

Die Mannschaft aus dem Nordwesten Englands ist seit einiger Zeit für ihr gutes Umschaltspiel bekannt und gefürchtet. Nichtsdestotrotz hat sich die Mannschaft von Klopp über die Jahre weiterentwickelt, gerade im Spiel mit dem Ball. Die Konkurrenz hat sich auf das Umschaltspiel von Liverpool eingestellt und so waren die Reds quasi dazu gezwungen, neue Lösungen zu finden. Oft befand sich die Klopp-Truppe in der Situation, in der sie selbst das Spiel machen musste und ihr gefürchtetes Umschaltspiel nur selten zur Geltung bringen konnte. Folglich hat die Mannschaft von der Anfield Road Lösungen und Mechanismen erarbeitet, um eine gegnerische Hintermannschaft so zu bewegen, damit sie ihr Tempo auch im letzten Drittel erfolgreich einsetzen kann.

Gegner binden und ziehen

Beim Binden von Gegenspielern ist es das Ziel, den Verteidiger bewusst in einem Raum zu halten, damit dieser nicht aktiv in die Situation eingreifen oder Lücken schließen kann. Der Vorteil dieser Variante ist, dass es sich im Vorfeld des Spieles gut planen lässt, wer welchen Spieler wo binden soll. Werden Verteidiger gebunden, können diese nicht nach vorne verteidigen, wodurch die Absicherung des Mittelfeldes nicht mehr gewährleistet ist. Die dadurch offen gehaltenen Räume können so durch nachrückende Spieler genutzt werden.

Ist es das Ziel, die gegnerische Kette in ihren Bewegungen zu manipulieren, ist das Binden und Ziehen von Gegenspielern eine erfolgversprechende Variante. Hier bewegt sich der Angreifer bewusst in den Zuständigkeitsbereich eines Verteidigers, um ihn dann mit einem dynamischen Lauf aus dem Raum wegzuziehen. Der Lauf sollte stets mit Tempo ausgeführt werden, damit der Verteidiger den Eindruck erhält, der Angreifer würde sich für einen Pass anbieten. Verfolgt der Verteidiger den Angreifer, entsteht ein freier Raum, der durch einen nachrückenden Mitspieler besetzt werden kann. Dieser kann nun ein Zuspiel in dem freigewordenen Raum erhalten und idealerweise in Spielrichtung mitnehmen. Gelingt es dem Angreifer jedoch nicht, den Verteidiger aus seiner Position herauszuziehen, so kann er selbst als Anspielstation dienen.

Bei den beiden genannten Methoden spielt die Wahrnehmung der eigenen Mitspieler eine große Rolle: Diese müssen die Situation oder die freigewordenen Räume, die durch das Binden und Ziehen entstanden sind, erkennen und nutzen. Dies gilt sowohl für den Passgeber als auch für den Passempfänger.

    1. Den eingerückten Flügelstürmern Salah und Jota gelingt es zusammen, die gesamte Viererkette von United zu binden.

    2. Mit Robertson und Keita sind gleich zwei Spieler bereit, den geschaffenen Raum zu nutzen. Liverpools “zweite Welle” ist perfekt gestaffelt. Die aufrückenden Spieler sind in der idealen Ausgangslage, den Angriff mit Dynamik fortzusetzen.

    1. Jones ist aus dem Mittelfeld aufgerückt und orientiert sich zu Lindelöf.

    2. Jones gelingt es, Lindelöf zu binden und ihn schließlich mit einem Lauf nach außen mitzuziehen. Firmino erkennt die Situation und bietet sich für ein Zuspiel im neu geschaffenen Raum an.

Gegner überladen

Ein weiteres Mittel, die gegnerische Abwehrreihe zu bewegen, ist eine Überzahlsituation gegen einzelne Verteidiger zu kreieren und sie somit in ein Entscheidungsdilemma zu bringen. Der Verteidiger soll zu einer Entscheidung, welchen Angreifer er aufnimmt, gezwungen werden, wodurch der nicht aufgenommene Angreifer anspielbar ist.
Natürlich können auch Überzahlsituationen gegen mehr als einen Verteidiger kreiert werden, was jedoch eine bessere Wahrnehmung der Mitspieler untereinander erfordert. Diese Überzahlsituation kann dann durch gegenläufige Bewegungsabläufe der Angreifer bewusst ausgenutzt werden. Das klassische Beispiel solch gegenläufiger Bewegungsabläufe ist: Ein Mitspieler läuft in die Tiefe, während der andere kurz dem Passspieler entgegenläuft.

    1. Dieses Mal ist es Milner, der aus dem Mittelfeld aufgerückt ist und mit Jota eine 2-gegen-1-Situation gegen Lindelöf kreiert.

    2. Die Situation wird von den beiden perfekt genutzt, indem sich beide in einer gegenläufigen Bewegung für einen möglichen Pass anbieten. Lindelöf befindet sich nun in einem Entscheidungsdilemma. Er folgt Jota in die Tiefe, wodurch Milner unbewacht bleibt.

    1. Liverpools Stürmer Trio Salah, Firmino und Jota orientieren sich alle zentral, um Uniteds Innenverteidiger zu überladen und somit Zuordnungsprobleme zu schaffen.

    2. Jota gelingt es, Lindelöf nach außen mitzuziehen. Der Abstand zwischen den beiden United Innenverteidigern ist nun sehr groß. Interessant auch zu sehen, dass Liverpool vier Spieler zentral zwischen Uniteds Abwehr- und Mittelfeldkette positioniert hat, um die geschaffenen Räume mit dynamischen Läufen zu nutzen.

    3. Firmino erkennt und nutzt den Raum zwischen den Innverteidigern und bietet sich für ein Zuspiel an. Salah und Keita sind bereit, die Tiefe zu „attackieren“.

    4. Firmino kann in Spielrichtung aufdrehen und schickt den bereits startenden Salah in die Tiefe, der mit dem späteren Torschützen Keita den Angriff zu Ende spielt.

Fazit

Liverpool hat sein Spiel, gerade mit Ball, über die letzten Jahre enorm weiterentwickelt und sich Lösungsansätze erarbeitet, die auf die Stärken der einzelnen Spieler zugeschnitten sind. Durch das Nutzen von Stilmitteln wie dem „Binden und Ziehen“ werden immer wieder Räume für den von Klopp als spielmachenden Stürmer bezeichneten Firmino geschaffen. Den Reds gelingt es auch, durch gute Staffelungen Tempo im Angriff zu erzeugen, was den schnellen Stürmern Salah, Mané und Jota entgegenkommt. Liverpool gelingt es häufig, die gegnerische Abwehrreihe stark auf eine Seite zu ziehen und die daraus entstandenen Lücken auszunutzen.
Das Konzept von „überladen und verlagern“ ist nicht neu, jedoch ist es bemerkenswert, wie es Liverpool durch clevere Staffelungen gelingt, im Angriff Dynamik zu erzeugen und hierdurch zusätzlich verschiedene Optionen schafft, den Angriff zu Ende zu spielen.

Wenn man länger zusammenarbeitet, können sich die Spieler in verschiedenen Situationen auf bestimmte Bewegungen ihrer Kollegen auf dem Platz verlassen.
Jürgen KloppCheftrainer FC Liverpool

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