3 Fragen an...

...Stefan Glowacz

Eine Kletterlegende gibt ihre Erfahrungen weiter.

  1. Bergsteiger und Unternehmer – ein außergewöhnlicher Allrounder, der Extremes wagt.

    Stefan Glowacz ist einer der erfolgreichsten Alpinisten unserer Zeit - außerdem Abenteurer, Unternehmensgründer und Vortragsredner für Führungskräfte. Nach dem Gewinn des Kletter-Wettkampfs „Rockmasters“ 1987, 1988 und 1992 sowie dem Vizeweltmeistertitel 1993 beendete Glowacz seine aktive Wettkampfkarriere. Mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung leitet er nicht nur anspruchsvolle Kletter-Expeditionen, sondern ist darüber hinaus auch Unternehmer geworden. Er ist Inhaber des Kletterausrüstungsherstellers Red Chili und hält Vorträge für Führungskräfte aus der internationalen Wirtschaft. Ob als Wettkampfkletterer, Abenteurer, Unternehmensgründer oder Referent – der einfache Weg war nie sein Ding, sondern stets die Fähigkeit, das Ungewöhnliche zu meistern.

Was die Fußballwelt von einem Extrem-Kletterer und Unternehmer lernen kann? Drei Fragen und drei Antworten bieten einen Blick über den Tellerrand hinaus.

Frage Nummer 1:
Wenn Sie einmal Parallelen zwischen einer Expedition und einem wichtigen sportlichen Wettkampf ziehen, was kann der Fußball vom Extrem-Klettern lernen?

Ein großes Turnier wie eine Fußball-Europa- oder Weltmeisterschaft kann durchaus mit einer Kletterexpedition im Grenzbereich der mentalen und physischen Leistungsfähigkeit verglichen werden. Bei beidem ist das Ziel klar definiert: Für den Fußballer geht es um den Gewinn des Titels, für den Bergsteiger um das Erreichen des Gipfels. Aber hätten beide immer nur das ganz große Ziel vor Augen, würden sie dem Druck schon bei den ersten Anzeichen von Schwierigkeiten nicht mehr standhalten.

Ich habe gelernt, eine komplexe und schwierige Expedition in sachlogische Etappen zu unterteilen, mit klar definierten Zielen und Zwischenstationen. Wenn ich das tue, erscheint die Bewältigung der Aufgabe viel leichter erreichbar. Wir ordnen zunächst sämtliche Informationen und Erfahrungswerte den einzelnen Etappen zu und erstellen einen exakten Zeit- und Handlungsplan - bei einem Turnier ergeben sich die Etappenziele durch die einzelnen Spiele. Nachdem wir jeden Bereich und jede Etappe wie ein kleines, eigenständiges Projekt durchgeplant haben, spielen wir jede einzelne Etappe erst einmal in Gedanken durch. Dabei setzen wir die bewährte Methode der Visualisierung ein.

So wie ein Bobfahrer im Geiste die Ideallinie in der Eisröhre sucht oder ein Slalomfahrer seinen Kurs durch die Stangen, so lassen auch wir jeden einzelnen Abschnitt der Expedition immer und immer wieder vor unserem geistigen Auge ablaufen. Diese Technik hilft uns, neue Gefahrenmomente zu antizipieren und auf mögliche kritische Situationen, an die wir im Zuge unserer analytischen Planung zuvor überhaupt nicht gedacht hatten, angemessen regieren zu können. Darüber hinaus kann sich jeder Einzelne durch die Visualisierung der Prozesse auf die zu erwartenden Anforderungen und möglichen Schwierigkeiten gedanklich vorbereiten. Ziel dieser Technik ist es, stets agieren zu können, statt in Situationen zu geraten, in denen man nur noch reagieren kann. Beim Fußball sollte dies nicht nur die Aufgabe des Trainers sein, sondern auch alle Spieler sollten sich dafür verantwortlich fühlen.


Frage Nummer 2:
Wenn Sie auf einer Expedition in eine gefährliche Situation geraten, wovon lassen Sie sich bei der Entscheidungsfindung leiten?

Ich ziehe hier gerne den Vergleich zum Schachspiel. Ein guter Schachspieler denkt immer mehrere Spielzüge im Voraus, ehe er die erste Figur zieht. Auch ich versuche stets, mehrere Abläufe vorauszudenken, bevor ich den ersten Schritt mache. Dadurch bleibe ich immer „Herr der Lage“ und vermeide es, in Situationen zu geraten, auf die ich nur noch reagieren kann. Ich gleiche die aktuelle Lage permanent mit der eigentlichen Planung ab und versuche, mögliche Gefahrensituationen frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig notwendige Veränderungen in der Vorgehensweise vorzunehmen. Erkenne ich eine Gefahrensituation, gibt es für mich drei Entscheidungskriterien:

  • 1. Muss ich das Risiko bewusst eingehen, weil es vielleicht der einzige Weg zurück nach Hause ist - sicherlich das denkbar schlechteste Szenario.
  • 2. Gibt es einen Plan B, um das Risiko zu „umgehen“ - auch wenn es mehr Energie und Zeit erfordern würde.
  • 3. Die Expedition hier abbrechen, sich an einen sicheren Ort zurückziehen und eine neue Herangehensweise vorbereiten.

Mit dieser kompromisslosen Vorgehensweise bei der Entscheidungsfindung bin ich immer gut gefahren oder besser gesagt gelaufen, sowohl bei meinen Expeditionen als auch als Unternehmer.


Frage Nummer 3:
Sie halten regelmäßig Vorträge für Führungskräfte. Was macht Ihrer Ansicht nach einen guten Leader im Sport und einen guten Leader in der Wirtschaft aus?

Als Leistungsträger einer Expedition, aber auch als Manager oder Unternehmer muss meine Freude, Begeisterung, meine Überzeugung, aber vor allem meine Leidenschaft für das Ziel spürbar für alle Beteiligten sein. Denn nur wer authentisch ist, kann das Umfeld mit seiner Begeisterung inspirieren und motivieren. Dies ist vor allem dann wichtig, wenn erste Schwierigkeiten auftauchen. Denn genau auf solche Situationen muss ich mich und mein Team vorbereiten. Als Initiator und Ideengeber erwarte ich von allen Beteiligten die gleiche Freude und Begeisterung. Diese Eigenschaften sind für mich das wichtigste Auswahlkriterium bei der Zusammenstellung eines Teams, anderenfalls wäre es einfach zu (lebens-)gefährlich.

Jeder Einzelne im Team trägt mit seiner Leistung zum Erfolg bei. Von daher erhält jeder von mir auch die gleiche Wertschätzung. Nicht nur derjenige, der virtuos kletternd die Schlüsselstelle in der Wand knackt, sondern auch der Teilnehmer, der immer 10 Kilogramm Gepäck mehr trägt als die anderen. Nur die Begeisterung und Leidenschaft für das gemeinsame Ziel hilft über den langen Zeitraum der Entbehrung, Unsicherheit, Zweifel und Resignation hinweg. Jeder sollte bereit sein, Führungsarbeit zu übernehmen und einen gerade resigniert wirkenden Teilnehmer auch mal in seinen „emotionalen Windschatten“ zu nehmen. Wenn das Team die gleiche Begeisterung für das Vorhaben hat wie ich, jeder jedem mit seiner Leidenschaft hilft und jeden einzelnen mitzieht, dann werde ich als Motivator überflüssig, und dann bin ich ein guter Leader!

3 Umsetzungstipps

  • Die Umsetzung eines Projektes kann immer nur so gut sein wie dessen Planung. Wichtig ist, zunächst alle zur Verfügung stehenden Informationen zu sammeln und anschließend über sachlogische Etappen in einen exakten Zeit- und Handlungsplan zu überführen.
  • Es ist elementar, bei der Umsetzung eines Projektes immer agierend aufzutreten und dadurch Situationen zu vermeiden, in denen nur noch reagiert werden kann. Gleichen Sie Ihren Zeit- und Handlungsplan ständig mit den aktuellen Gegebenheiten ab und reagieren Sie sofort, sobald der Ist-Zustand von der geplanten Vorgehensweise abweicht.
  • Ihre eigene Überzeugung und Leidenschaft muss spürbar für alle Beteiligten und stets Grundlage für Ihr Handeln sein. Denn nur wenn Sie dies selbst verkörpern, werden Sie auch als Führungsperson anerkannt werden.
Ich lebe in einem Chaos, einem kreativen. Das liebe ich. Alltag hasse ich wie die Pest.
Stefan Glowacz