3 FRAGEN AN...
Tischtennisprofi TIMO BOLL
Was ihn antreibt, wie er mit Niederlagen umgeht und welches Selbstverständnis er hat.
- Timo Boll ist ein deutscher Tischtennisprofi und steht bei Borussia Düsseldorf unter Vertrag (Stand 2021).
- Er war 2003 der erste deutsche Spieler, der auf Platz 1 der ITTF-Weltrangliste geführt wurde. Im Jahr 2018 führte er erneut die Weltrangliste an, diesmal als ältester Spieler, dem dies jemals gelungen ist.
- Neben seinen sportlichen Leistungen ist Timo Boll weltweit bekannt für seine Fairness. Diese war auch einer der Gründe, warum er ausgewählt wurde, die deutsche Flagge bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro in das legendäre Maracana Stadion zu tragen.
- Nach den Olympischen Spielen 2024 beendete er seine Karriere.
Der deutsche Fahnenträger bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio ist der erfolgreichste deutsche Tischtennisspieler aller Zeiten. 2003 war er zum ersten Mal, und als erster Deutscher überhaupt, die Nummer eins der Tischtennis-Weltrangliste. Und 2018, 15 Jahre später im Alter von knapp 37, erklomm er erneut den Thron und wurde damit zum ältesten Spieler, dem das in der Geschichte des Tischtennis gelungen ist.
Spätestens seit 2005 wird Timo Boll auch „Mr. Fair“ genannt, nachdem er im WM-Achtelfinale im letzten Satz den gewonnenen Matchball beim Schiedsrichter gegen sich selbst reklamierte. Am Ende verlor Timo Boll das Spiel, gewann aber die Herzen der chinesischen Zuschauer im Sturm und genießt seitdem Kultstatus im Reich der Mitte.
1) Wie war das damals 2005 in China, als Sie viele schon als Sieger des WM-Achtelfinales gegen den Chinesen Liu Guozheng gefeiert haben, Sie aber den für sich gewerteten Matchball annullieren ließen?
Das ging in dem Moment damals eigentlich ganz automatisch, und ich habe auch direkt auf die Kante gezeigt, die der Ball berührt hatte. Das entsprach den Tatsachen, da gab es für mich keine Alternative. Als Schüler und Jugendlicher war ich sicherlich nicht immer so fair, vielleicht hätte ich damals so einen Ball mitgenommen und das Spiel gewonnen. Aber als ich das mal gemacht habe, habe ich mich schlecht danach gefühlt und konnte den Sieg nicht genießen. Und wenn sich ein Sieg nicht verdient anfühlt, kann ich den Erfolg auch nicht feiern.
Das hat sich bei mir so nach und nach ausgebildet, dieses fair und Vorbild sein. Und gerade mein damaliger Gegner, Liu Guozheng, gegen den ich dann ganz, ganz bitter ausgeschieden bin, war nicht unbedingt der fairste Spieler und hat solche Bälle auch gerne mal mitgenommen. Aber nach dieser Aktion ging es bei unseren Matches danach immer 100%ig fair zu. Auch dadurch hat sich so eine gewisse Etikette im Tischtennis etabliert: dass es sehr verrufen ist, unfair zu sein. Der Sport ist jetzt sicher nicht nur durch mich sehr fair geworden. Wenn aber Topspieler mit gutem Beispiel vorangehen, kann sich das durch die ganze Sportart hindurchziehen. Das würde ich mir im Fußball auch wünschen. Gerade, wenn die Topspieler auch mal, und wenn es nur ein Einwurf ist, zugeben, ja, der muss in die andere Richtung gehen, dann wäre das wirklich ein Beispiel für viele, auch für den Amateurfußball. Und ich denke, da kann man auf jeden Fall ein Zeichen setzen.
2) Sie hatten schon früh in Ihrer Karriere Erfolg. Ist Ihnen immer alles zugeflogen? Und was treibt Sie an?
Nein, nicht wirklich. Ich kenne natürlich meinen Weg, den ich gegangen bin und es war auch ein beschwerlicher Weg, bis ich dort angekommen bin, wo ich jetzt stehe. Gerade zu Beginn meiner Karriere war ich ein bisschen bequem und ich habe auch immer mal einen Push gebraucht. Aber ich hatte gute Vorbilder, zum Beispiel Jörg Roßkopf, der mir wieder verdeutlicht hat, wie hart man für seinen Erfolg arbeiten muss. Und ich hatte ein gutes Umfeld, das mir gezeigt hat, wie man etwas erreichen kann. Denn auch das größte Talent alleine reicht nicht aus, am Ende ist es auch viel Plackerei und viel Disziplin. Aber man gewöhnt sich daran und ich konnte mich auch komplett umstellen. Auch aus einem bequemen Typen wie mir kann sich ein disziplinierter Perfektionist entwickeln, der danach strebt, alles aus sich herauszuholen. Ich habe diesen Sprung geschafft und vielleicht ist das auch der Grund, warum ich mich auch im hohen Sportleralter immer noch weiterentwickeln konnte: mit Akribie und Perfektionismus.
Wichtig ist, dass man immer ehrlich zu sich selbst ist, nur so kann man sich verbessern. Man sollte sich davor hüten, wenn etwas nicht gut gelaufen ist, die Schuld dafür nicht auch bei sich selber zu suchen. Das muss man gerade als jüngerer Sportler erst einmal begreifen. Und man muss auch ein Gespür entwickeln, an was es wirklich gelegen hat. Dafür muss man sehr, sehr akribisch in sich hineinhören und fühlen, wo wirklich der Haken gewesen ist. Das macht, glaube ich, die guten Sportler aus, die dieses Selbstgefühl haben, was jetzt nicht gut war und woran genau es gelegen hat. Das ist für mich auch heute immer noch so, jeden Schlag zu analysieren, nach jedem Ballwechsel nochmal kurz zu überlegen, war die Platzierung gut, war der Handgelenkseinsatz passend und war der Schlägerwinkel richtig. Ich glaube, das ist sehr wichtig, um wirklich ganz nach oben zu kommen, ganz egal, welche Sportart man ausübt.
3) Die Ereignisdichte im Tischtennis ist enorm. Permanent Topleistungen zu bringen, ist fast unmöglich. Was machen Sie, wenn es mal nicht läuft und wie gehen Sie mit Niederlagen um?
Wenn ich das Gefühl habe, ich „überpace“ oder es läuft gar nicht und ich merke, wie ich innerlich wahnsinnig werde, dann sage ich mir Mantras auf. Nur ein oder zwei Sätze und ich atme ein, ich atme aus, und achte dabei wirklich nur auf das Ein- und Ausatmen. Das alleine hilft mir schon enorm, um erstmal alles herauszubekommen aus meinem Kopf und einfach wieder klar Schiff zu machen. So schaffe ich es, alles Negative, alles, was stört, aus mir herauszuwerfen und zu vergessen. So versuche ich, diese schlechten Phasen zu überbrücken oder wieder umzudrehen und bei null anzufangen.
Verlieren war für mich immer viel wichtiger als Gewinnen. Natürlich ist das Gewinnen wichtig, um Selbstvertrauen zu tanken und natürlich ist es auch ein schönes Gefühl. Aber um ein besserer Spieler zu werden, war für mich das Verlieren immer viel, viel wertvoller. Und Helmut Hampl, mein Trainer, hat immer extrem drauf geachtet, dass ich gegen bessere Spieler trainiere, dass ich richtig was „auf die Ohren“ bekomme im Training. Daran habe ich mich dann immer hochgezogen und so auch viel besseres Feedback erhalten, woran es aktuell noch fehlt. Auch heute ist es noch so, dass ich nach einer Niederlage überlege, was nicht gestimmt hat, wo ich mich noch verbessern kann. Wenn man sehr viel gewinnt, neigt man natürlich schnell dazu, selbstzufrieden zu werden. Und deshalb war es für mich schon immer wichtig, Niederlagen „zu spüren“. Aber natürlich nicht, um daran zu verzweifeln, sondern immer einen Weg zu finden, die Fehler auszumerzen und die richtigen Rückschlüsse für die Zukunft zu ziehen.
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